COPD und Lungenkrebsrisiko: to screen or not to screen?

Die neue S3-Leitlinie zum Lungenkarzinom widmet sich ausführlich der Früherkennung. Wissen Sie Bescheid, welches Screening für wen empfohlen wird?

Die neue S3-Leitlinie zum Lungenkarzinom widmet sich ausführlich der Früherkennung. Wissen Sie Bescheid, welches Screening für wen empfohlen wird?

"In Anbetracht der hohen Letalität von Lungenkrebs ist die Früherkennung ein enorm wichtiges Thema", heißt es in der seit Februar dieses Jahres existenten S3-Leitlinie zum Lungenkarzinom1. Die epidemiologischen Zahlen werden Ihnen bekannt sein: Jedes Jahr erkranken in Deutschland über 53.000 Menschen an dieser Krebsart, davon sind etwa zwei Drittel Männer. Während bei ihnen die Inzidenzkurve sinkt, steigt sie bei den Frauen an. Die gegenläufige Entwicklung spiegelt das veränderte Rauchverhalten der vergangenen Jahrzehnte wider. Die Prognose des Bronchialkarzinoms ist prinzipiell ungünstig, die Heilungschancen hängen vom Tumorstadium und damit vom Zeitpunkt der Diagnosestellung ab.

Angenommen, Sie betreuen einen 62-jährigen Patienten mit COPD und 30 Packungsjahren in der Raucheranamnese – schicken Sie ihn zum Lungenkrebs-Screening? Und zu welchem?

COPD erhöht das Lungenkrebsrisiko bei Rauchern deutlich

COPD-Patienten tragen ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko, besonders dann, wenn sie älter als 60 Jahre sind und im Rahmen der obstruktiven Erkrankung bereits ein Lungenemphysem entwickelt haben. Gegenüber Rauchern ohne COPD ist die Tumorgefahr bei Nikotinsüchtigen mit COPD um das Zwei- bis Sechsfache erhöht. Also ein klarer Fall für das Screening? Was sagen die Leitlinien?

In der neuen COPD-Leitlinie der DGP2 findet sich dazu das folgende Statement (S13): "Eine abschließende Aussage zum Lungenkarzinomscreening bei Patienten mit COPD kann derzeit nicht getroffen werden."

Mit dem Thema Früherkennung des Lungenkarzinoms tun sich generell nicht nur die Ärzte in der Praxis schwer, sondern auch die Experten der internationalen Fachgesellschaften. Im Kapitel 5 der oben erwähnten S3-Leitlinie, herausgegeben im Leitlinienprogramm Onkologie von AWMF, DKG und DKH unter Federführung von DGP und DKG, findet sich eine schöne Zusammenstellung einschlägiger Studien und Leitlinienempfehlungen.

NSLT: "Meilenstein"-Studie zur Früherkennung

Als "Meilenstein in der Entwicklung eines Früherkennungsprogramms" wird die bisher größte US-amerikanische Screening-Studie "National Lung Screening Trial" (NSLT)3 bezeichnet. Als erste große randomisiert-kontrollierte Studie hat sie für die jährliche Untersuchung mittels Niedrigdosis-Computertomographie (Low-Dose CT) bei Lungenkarzinom-Risikopersonen eine signifikante relative Reduktion der Mortalität um 20 % gezeigt (absolute Risikoreduktion: 1,3 % vs. 1,7 %).

Die Autoren der deutschen S3-Leitlinie kommentieren: "Auf der Basis dieser Daten haben bereits mehrere US-amerikanische Fachgesellschaften Empfehlungen für ein flächendeckendes Lungenkarzinom-Screening ausgesprochen (Tabelle 11). Dennoch müssen die Daten kritisch gesehen werden und mögliche Risiken mit in Betracht gezogen werden."

Empfehlungen der deutschen S3-Leitlinie zum Lungenkarzinom

Die evidenzbasierten Empfehlungen der S3-Leitlinie zur Lungenkarzinom-Früherkennung bei asymptomatischen Risikopersonen sehen dann folgendermaßen aus:

Nicht empfohlen: Röntgenthorax-Übersicht
5.1.:
 "Bei asymptomatischen Risikopersonen für ein Lungenkarzinom soll eine Früherkennung mittels Thoraxübersichtsaufnahmen allein oder in Kombination mit zytologischen Sputumuntersuchungen nicht erfolgen."

"Kann"-Empfehlung: Low-Dose-CT des Thorax
5.2.: 
"Asymptomatischen Risikopersonen für ein Lungenkarzinom im Alter zwischen 55 und 74 Jahren und einer Raucheranamnese von ≥ 30 Packungsjahren und weniger als 15 Jahren Nikotinkarenz kann eine jährliche Lungenkarzinom-Früherkennung mittels Low-Dose-CT unter den in Empfehlung 5.4. genannten Rahmenbedingungen angeboten werden."

5.3.: "Bei asymptomatischen Risikopersonen für ein Lungenkarzinom im Alter ≥ 50 Jahren und einer Raucheranamnese von ≥ 20 Packungsjahren und einem der folgenden zusätzlichen Risikofaktoren kann eine jährliche Lungenkarzinom-Früherkennung mittels Low-Dose-CT unter den in Empfehlung 5.4. genannten Rahmenbedingungen angeboten werden.
Risikofaktoren: Z.n. Lungenkarzinom, positive Familienanamnese für ein Lungenkarzinom, Z.n. HNO-Malignom oder anderer mit dem Rauchen assoziierter Malignome, Z.n. Lymphom-Erkrankung, Asbestexposition, COPD, Lungenfibrose."

5.4.: "Eine jährliche Lungenkarzinom-Früherkennung mittels Low-Dose-CT sollte mindestens für 2 Jahre und unter folgenden Rahmenbedingungen erfolgen:

Problem: falsch positive Befunde und anschließendes Komplikationsrisiko

Das hört sich aufwändig an und ist es auch. Der Grund ist die hohe Rate an falsch positiven Befunden beim CT-Screening: Zu 30 %, also in 300 von 1.000 Fällen, wird in der CT-Untersuchung ein Lungenrundherd diagnostiziert. Der löst potenziell den Verdacht auf Lungenkrebs aus, erweist sich in über 95 % der Fälle jedoch als ein gutartiger und völlig unbedenklicher Befund.

Mal abgesehen von der unnötigen seelischen Belastung durch den Fehlalarm besteht das Hauptproblem in den Komplikationen, die durch die Folgediagnostik entstehen können. Rechnet man die NSLT-Daten auf Deutschland hoch, ergibt sich folgendes Bild pro 1.000 Teilnehmer an einem CT-Screeningprogramm: 13 von ihnen würden eine ernsthafte Komplikation nach invasiver Diagnostik erleiden, die in einem Fall tödlich endet. Dem gegenüber könnten 4 Todesfälle durch Lungenkrebs vermieden werden.

Flächendeckendes CT-Screening hängt an strukturellen Voraussetzungen

Die dieser Berechnung zugrundeliegenden Daten beruhen – wie auch die Abklärung positiver CT-Befunde im Rahmen bekannter europäischer Studien – auf invasiven Prozeduren, die an hochspezialisierten Zentren durchgeführt wurden. "Insofern wären bei Durchführung eines CT-Screenings mit nachfolgender invasiver Diagnostik außerhalb spezialisierter Zentren mit nochmals höheren Komplikationsraten zu rechnen", schreiben die Autoren der S3-Leitlinie. Deshalb sind die positiven Screening-Empfehlungen verschiedener Fachgesellschaften jeweils an strukturelle Voraussetzungen geknüpft.

Zurück zur Praxisrealität: Wie lässt sich bei Patienten mit COPD das individuelle Risiko für Lungenkrebs ermitteln und welches neue Diagnoseverfahren kann der Früherkennung des Lungenkarzinoms vielleicht bald zum Durchbruch verhelfen?

Die Antworten darauf gibt es im zweiten Teil des Beitrags.

Referenzen:
1. S3-Leitlinie Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Lungenkarzinoms. 2018. AWMF-Registernummer: 020/007OL
2. Vogelmeier C. et al. S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Patienten mit chronisch obstruktiver Bronchitis und Lungenemphysem (COPD). 2018. AWMF-Registernummer: 020/006
3. National Lung Screening Trial Research Team et al. Reduced lung-cancer mortality with low-dose computed tomographic screening. N Engl J Med 2011;365(5):395-409

Abkürzungen:
AWMF = Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.
DGP = Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V.
DKH = Deutsche Krebshilfe
DKG = Deutsche Krebsgesellschaft e.V.