COVID-19-Pandemie: Erholung für die Notaufnahme?

In unserem wöchentlichen News-Screening geht es um selbstgenähte Masken, eine Münze in der Lunge und um den signifikanten Rückgang von Vorstellungen in der Notaufnahme während der COVID-19-Pandemie.

In unserem wöchentlichen News-Screening geht es um selbstgenähte Masken, eine Münze in der Lunge und um den signifikanten Rückgang von Vorstellungen in der Notaufnahme während der COVID-19-Pandemie.

Selbstgenähte Masken schützen

Für alle, die sich im März, als medizinische Gesichtsmasken vom Markt gefegt waren, in der Praxis und/oder privat mit selbstgenähten Stoffmasken versorgten, gab es kürzlich eine (nachträglich) gute Nachricht im Fachjournal "Physics of Fluids" zu lesen1: Die Dinger können, je nach Stoffmuster, nicht nur ganz nett aussehen, sie bieten auch einen gewissen Übertragungsschutz. In einem Test an der Florida Atlantic University mit Schaufensterpuppe, Nebelmaschine und Hustenstrahl-Analyse schnitt die gut sitzende, genähte doppellagige Maske aus Baumwolle besser ab als eine handelsübliche kegelförmige Maske aus dem Baumarkt. Die Partikel-Flugweite betrug etwa 6,6 cm, bei einer Mund-Nasen-Bedeckung mit Halstuch dagegen ca. 1,1 m und beim Husten ohne jegliche Schutzmaßnahme ca. 2,4 m.

Rarität: Münze im Hauptbronchus

Das Masketragen beim Dartspielen hätte übrigens einem Mann monatelangen hartnäckigen Husten erspart. Er hatte mit einer 1-Cent-Münze "am Mund gespielt" und diese dann vor Schreck verschluckt, als ihm ein Freund auf den Rücken klopfte. Die Münze kam nicht wie gedacht hinten wieder raus, sondern blieb im Körper stecken, genauer gesagt linken Hauptbronchus. Pneumologen der St. Barbara-Klinik in Hamm haben den scharfkantigen Fremdkörper dann schließlich in mehreren Arbeitsschritten bronchoskopisch verkleinert und verletzungsfrei hinausbefördert. Fremdkörper in den Atemwegen kommen immer mal wieder vor, Münzen sind aber – ebenso wie Fische – eher selten dabei. Seinen Geldwert hat das iatrogen geschrumpfte und auch von den Abwehrsubstanzen im Bronchialsekret stark malträtierte 1-Cent-Stück des Dartspielers zwar verloren. Dafür fungiert es jetzt als Glücksbringer der besonderen Art.

Weniger Krankenstand während der Pandemie

Maßnahmen  zur  Infektionsvermeidung, zu denen u.a. das Masketragen gehört, und die vermehrte Arbeit im Homeoffice haben maßgeblich zur Prävention der Verbreitung von Atemwegsinfekten beigetragen, wie der BKK-Dachverband im Rahmen seiner monatlichen Sonderauswertung zur Coronavirus-Pandemie erläutert. Basierend auf den AU-Daten von ca.  4  Mio. beschäftigten BKK-Mitgliedern lag der Krankenstand auch im Juni 2020 deutlich unter den entsprechenden Vorjahreswerten – mit dem deutlichsten Rückgang im Bereich der Atemwegsinfekte. 

Ein Blick über den fachspezifischen Tellerrand: "Wo sind all die akuten Herzinfarkte geblieben?", fragten sich die Kardiologen bzw. ihre Fachgesellschaft im April, angesichts der "Berichte über besorgniserregende Rückgänge bei den Klinikaufnahmen". US-Kardiologen hatten dazu erste Ergebnisse einer systematischen Datenanalyse publiziert und einen Rückgang um 38% an neun über die USA verteilten Herzzentren mit hohem Aufkommen an Katheterinterventionen festgestellt. Auch in Österreich und Spanien war in Umfragen unter Herzkatheterlaboren ein vergleichbar hoher Rückgang um etwa 40% ermittelt worden.

Weniger Aufkommen in der Notaufnahme

Eine ganz aktuelle Originalarbeit im Deutschen Ärzteblatt gibt Aufschluss über die Zahl der Notaufnahmebesuche während der COVID-19-Pandemie im Vergleich zum Vorjahr in Deutschland.2 Dafür wurden in 29 universitären und 7 außeruniversitären Notaufnahmen die Fallzahlen der Kalenderwochen 1–22 der Jahre 2019 und 2020 erhoben, unter Berücksichtigung einzelner Tracer-Diagnosen (I21, Herzinfarkt; J44, COPD und I61, I63, I64, G45, Schlaganfall/TIA). Bei 475.067 eingeschlossenen Fällen im Jahr 2020 lag die Anzahl der bestätigten COVID-19-Vorstellungen bei 3.122.

Über den gesamten Zeitraum zeigte sich eine Reduktion der Vorstellungen in den Notaufnahmen um 13% im Vergleich zum Vorjahr. Der maximale Rückgang von 38% wurde zum Zeitpunkt der höchsten Anzahl von COVID-19-Fällen (n = 572; KW 14) erreicht. Mit Beginn der Kontaktbeschränkungen waren im Mittel 240 Fällen weniger pro Notaufnahme und Woche zu verzeichnen. Im weiteren Verlauf nahm die Fallzahl jede Woche im Mittel um 17 Patienten zu und hat im Hinblick auf Myokardinfarkte bereits wieder das Ausgangsniveau erreicht.

Wie die Autoren berichten, betrifft der Rückgang der Fallzahlen "alle Dringlichkeitsstufen, die Versorgungsstufe (Normalstation versus Intensivstation) und etwas ausgeprägter ambulante Fälle". Die Furcht vor einer möglichen Ansteckung wird dabei so manchen überflüssigen Gang in die Notaufnahme vermieden haben – eine Entlastung für Personal und Ressourcen, die sich auch nach der Corona-Zeit (wann immer das sein mag) gerne etablieren dürfte.

Prävalenz von Myokardinfarkten inzwischen "normalisiert"

Andererseits mag sich, wie schon oben thematisiert, das Krankheitsaufkommen insgesamt durch die besonderen Pandemie-Bedingungen verringert haben, auch dasjenige mit notfallmedizinischer Relevanz. Die Studienautoren vermuten: "Im Hinblick auf die Vorstellung aufgrund jeglicher Unfälle oder Verletzungen ('Trauma') ist wahrscheinlich, dass der Rückgang des Straßenverkehrs, die Schließung von Sportstätten und die Absage aller Großveranstaltungen zu einer Reduzierung dieser Vorstellungsgründe beigetragen hat." Ob weniger Notaufnahmen-, Krankenhaus- und Praxisbesuche am Ende zu einer erhöhten Morbidität und Mortalität führen, müssen künftige Analysen zeigen.

Die Schlussfolgerung der Autoren lautet: "Die COVID-19-Pandemie in Deutschland führte zu einem signifikanten Rückgang medizinischer Notfälle jeglicher Art in den Notaufnahmen. Bereits in KW 15 setzte ein Erholungseffekt ein. Ausgangswerte waren insgesamt bis zur 22. KW nicht erreicht, wobei sich die Prävalenz von Myokardinfarkten normalisiert hat. Ursachen sind Gegenstand weiterer Forschung."

Den Begriff "Erholungseffekt" finden wir in diesem Kontext etwas fragwürdig. Und die "Normalisierung" der Prävalenz von Myokardinfarkten – deren Reduktion neben anderen Ursachen auch mit weniger Stress in einem Corona-beruhigten Alltag zu tun haben könnte – ist jenseits beruflich-ökonomischer Interessen nicht das, was man sich perspektivisch für eine gesündere Bevölkerung wünschen möchte.

In jedem Fall wünschen wir Ihnen einen schönen Sommerurlaub mit gutem Erholungseffekt!

Herzlichst, Ihre
Dr. Hubertus Glaser & Dr. Jörg Zorn

Referenzen:
1. Verma S et al. Visualizing the effectiveness of face masks in obstructing respiratory jets. Physics of Fluids 2020;32:061708. https://doi.org/10.1063/5.0016018
2. Slagmann A et al. Medizinische Notfälle während der COVID-19-Pandemie. Analyse von Notaufnahmedaten in Deutschland. Dtsch Arztebl Int 2020;117:545-52