Der frühe Vogel und die COPD

"Die COPD scheint früher zu beginnen als bisher angenommen" – diese Überschrift eines an Hausärzte gerichteten Fachartikels nehmen wir zum Anlass für diesen Blogbeitrag.

"Die COPD scheint früher zu beginnen als bisher angenommen" – diese Überschrift eines an Hausärzte gerichteten Fachartikels nehmen wir zum Anlass für diesen Blogbeitrag.

Was verstehen Sie unter einer "frühen COPD"?

Eine verbindliche Definition dafür gibt es ja nicht. Die Leitlinien unterscheiden in ihrer Einteilung traditionell zwischen mild und schwer bzw. kontrolliert (wenig symptomatisch) und unkontrolliert (symptomatisch). Das  Progressionsrisiko wird dabei anhand der Exazerbationsrate und der Symptomenschwere eingeschätzt. Anders als bei den meisten anderen Krankheiten spielt der Zeitfaktor (früh versus spät) für die Empfehlungen zum Management der COPD bisher keine Rolle. Zu Recht?

In einem zweistufigen Delphi-Verfahren votierte vor kurzem eine größere Gruppe von italienischen Pneumologen für die frühzeitige Selektionierung und Behandlung von COPD-Patienten.1 Von 515 Klinikern, die den ersten von zwei Fragebögen erhielten, antworteten 207. Die Mehrheit (60%) von ihnen verstand unter "früher COPD-Diagnose" eine Diagnosestellung vor klinischer Manifestation der Erkrankung.

"Frühe COPD-Diagnose: Fakt oder Fiktion?"

Unter dieser Zwischenüberschrift wird in dem italienischen Paper darüber berichtet, dass nur knapp 7% der Spezialisten konstatierten, dass eine frühe COPD-Diagnose im realen Praxisalltag vorkommt. Hinderliche Faktoren für ein frühzeitiges Erkennen und Behandeln der obstruktiven Atemwegserkrankung sind dem "Expertenpanel" zufolge (gereiht nach Bedeutung):

  1. mangelndes Bewusstsein bezüglich der Krankheit (78% der Antwortenden);
  2. mangelndes Interesse seitens der Allgemeinärzte (41%);
  3. keine Priorisierung der Erkrankung, auch wenn ihre Bedeutung verstanden wird (48%);
  4. Schwierigkeiten mit der Durchführung einer Spirometrie (57%).

Insgesamt gaben 12% der Antwortenden an, dass im Durchschnitt von neuen Patienten eine Symptomdauer von weniger als einem Jahr berichtet wird. Nur 15% der Patienten erhielten ihre Diagnose, solange die COPD gemäß Spirometrie-Befund noch mild war (GOLD 1), und knapp 16% der Patienten wurden anhand  von Symptomen/Exazerbationen diagnostiziert (GOLD 1).

Rauchstopp als erster Schritt

Unabhängig von der Definition einer "frühen Diagnose" sind die befragten Lungenärzte davon überzeugt, dass mit einem frühzeitigen Krankheitsmanagement der natürliche Verlauf der COPD günstig beeinflusst werden kann. Dass hier der Rauchstopp als erster Schritt das höchste Vertrauen genießt, ist klar. Dass eine Inhalationstherapie als frühzeitige Intervention erwogen werden sollte, ist allgemein akzeptiert, so die Autoren des italienischen Delphi-Projekts. Der Nutzen der medikamentösen Behandlung zugunsten einer Verlangsamung des Funktionsverlusts, Minderung von Exazerbationen und Langzeitkomplikationen sowie Verbesserung der Lebensqualität wurde in diversen Untersuchungen gezeigt.

Delphi-Runde: mit LABA/LAMA starten

Bei der Frage der optimalen Erhaltungstherapie scheiden sich aber noch die Geister: LAMA bzw. LABA einzeln oder LABA/LAMA oder ICS/LABA? In der Delphi-Runde erreichte die LABA/LAMA-Fixkombination das höchste Konfidenzniveau, gefolgt von LAMA, dann LABA und zuletzt ICS/LABA.

Auch bei COPD-Patienten mit fortgeschrittener Dyspnoe (MRC ≥ 2) und moderater Obstruktion (FEV1 zwischen 50% und 80%) wird im Expertenvotum die LABA/LAMA-Fixkombi als geeignete Startmedikation präferiert. An zweiter Stelle folgt ein einzelner Inhalator, an dritter Stelle die ICS/LABA-Kombi. Dabei gibt es signifikante Effekte hinsichtlich des Alters der Patienten: Ein einzelner Bronchodilatator erscheint zum Start eher geeignet bei jüngeren Patienten, ICS/LABA dagegen (mit geringem Unterschied) eher bei höherem Alter. Keine Therapie spielt für die Fachärzte als Option kaum eine Rolle.

Etwas erstaunlich: Die italienischen Autoren schreiben, dass die Antworten ihrer Delphi-Teilnehmer mit den GOLD-Empfehlungen (von 2017) übereinstimmten. Dort wurde und wird (GOLD Report 2019; PDF-Link) die LAMA/LABA-Kombination als initiale Therapiemaßnahme allerdings nur für Patienten der Gruppe D empfohlen (Exazerbationen: ≥ 2 moderat oder ≥ 1 hospitalisationspflichtig; Dyspnoe/Symptome: mMRC ≥ 2 bzw. CAT ≥ 10). Also nicht bei milder COPD.

In einem späteren Absatz gehen die Autoren kurz indirekt darauf ein. Sie weisen einerseits auf die GOLD-Empfehlung zur Eskalation von der Mono- zur Kombinationstherapie bei unzureichender Symptomverbesserung hin und zum anderen auf die Vorteile der LABA/LAMA-Fixkombi hinsichtlich der klinischen Effekte.

Auch asymptomatische COPD-Patienten behandeln?

Von den Delphi-Befragten halten 70% eine medikamentöse Behandlung von asymptomatischen Patienten mit "milder" COPD für nicht angebracht, 20% dagegen schon. Die Autoren zitieren ein Update amerikanischer und europäischer Leitlinien aus dem Jahr 20113, demzufolge Bronchodilatatoren bei asymptomatischen Patienten aufgrund der mangelnden Evidenz nicht empfohlen werden. Andererseits ist bekannt, dass der Schweregrad der Symptome nur schwach mit demjenigen der Atemwegsobstruktion korreliert. Mögliche Vorteile einer frühzeitigen pharmakologischen Intervention im Vergleich zum Rauchstopp müssen aber noch in prospektiven klinischen Studien belegt werden.

Entscheidende Rolle der Hausärzte

Schließlich kommt das Expertenpanel noch zu der folgenden Einschätzung: Allgemein- bzw. Hausärzte spielen eine essenzielle Rolle für die frühe COPD-Diagnose. Beim frühzeitigen Behandlungsmanagement ist dann allerdings unbedingt der fachärztliche Spezialist einzubeziehen.

Nochmal zu unserer Eingangsfrage: "Frühe COPD" bedeutet ja nicht "milde COPD". In einer Übersichtsarbeit2 wurden beide Begrifflichkeiten im vergangenen Jahr so definiert:

copd.JPG

Anmerkung: Alle Spirometrie-Werte sind Post-Bronchodilatator-Werte. Die Rauchdosis > 10 Packungsjahre bezieht sich auch auf eine äquivalente Exposition gegenüber Rauch aus Biomasse. (nach Soriano et al2)

Früh hilft viel – vor allem Bewegung!

Der Marburger Experte Prof. Claus Vogelmeier sprach sich beim letztjährigen DGP-Kongress übrigens dafür aus, den Begriff "frühe COPD" zu tilgen. Denn: "Niemand weiß, wie lange die Sache beim Patienten läuft." Falls Ihnen dieser Satz bekannt vorkommt, haben Sie offenbar unseren Blogbeitrag dazu noch in Erinnerung. Falls nicht, können Sie ihn hier nachlesen.

Ungeachtet dieser Begrifflichkeitsdiskurse plädieren wir für das Motto "früh hilft viel". Und zwar vor allem frühzeitig und langfristig viel Bewegung (die die Bronchodilatation ggf. erleichtern kann). Das haben die italienischen Kollegen irgendwie vergessen zu erwähnen.

Referenzen:
1. Di Marco F et al. Early management of COPD: where are we now and where do we go from here? A Delphi consensus project. Int J Chron Obstruct Pulmon Dis 2019;14:353-60
2. Soriano JB, Polverino F, Cosio BG. What is early COPD and why is it important? Eur Respir J 2018;52(6). pii:1801448. doi:10.1183/13993003.01448-2018
3. Qaseem A et al. Diagnosis and management of stable chronic obstructive pulmonary disease: a clinical practice guideline update from the American College of Physicians, American College of Chest Physicians, American Thoracic Society, and European Respiratory Society. Ann Intern Med 2011;155(3):179-91

Abkürzungen:
FVC = forcierte exspiratorische Vitalkapazität
GOLD = Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease
ICS = inhalative Kortikosteroide
LABA = langwirksames Beta-2-Sympathomimetikum (long acting beta-2 agonist
LAMA  langwirksame Anticholinergika
mMRC = Modified British Medical Research Council (Skala zur klinischen Beurteilung des Dyspnoe-Schweregrads bei COPD-Patienten)