Führt die Angst vor Aersolen zu mehr invasiver Beatmung bei COVID-19-Patienten?

Worauf ist bei aerosolbildenden Maßnahmen im Umgang mit COVID-19-Patienten zu achten?

Worauf ist bei aerosolbildenden Maßnahmen im Umgang mit COVID-19-Patienten zu achten?

Aerosole, Schule, Reha – das waren die Schlagworte in der Überschrift des letzten Blog-Beitrags und daran können wir nahtlos anknüpfen. Ein Beitrag im Deutschen Ärzteblatt von Anfang August befasst sich mit dem Ansteckungsrisiko für das Behandlungspersonal durch  Aerosole bei der nichtinvasiven Beatmung von COVID-19-Patienten.1 Die beiden Autoren vom UKE fragen sich, „ob die Angst vor Aerosolen begründet ist, sodass Patienten möglicherweise deswegen invasiv beatmet werden, ohne das Potenzial der nichtinvasiven Verfahren ausgenutzt zu haben.“

Hohe Mortalität bei beatmeten COVID-19-Patienten

Ein kurzer Einschub zu den Zahlen im stationären Pandemie-Geschehen in Deutschland: In The Lancet Respiratory Medicine erschien kürzlich eine Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO), der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und der Technischen Universität Berlin.2 Es wurden die vollständigen stationären Datensätze von 10.021 Patienten mit bestätigter COVID-19-Diagnose ausgewertet, die nach Aufnahme zwischen dem 26. Februar und dem 19. April 2020 in 920 verschiedenen Krankenhäuser behandelt worden waren.

Die Mortaliät lag

Laut DIVI-Tagesreport vom 09.09.2020 (PDF-Link), der auf den Angaben von 1.283 meldenden Krankenhaus-Standorten basiert, befinden sich aktuell 227 COVID-19-Patienten in intensivmedizinischer Behandlung, von denen 133 (59%) invasiv beatmet werden. Von 16.844 Patienten mit abgeschlossener Behandlung sind 4.054 (24%) verstorben.

Nichtinvasive Beatmungsverfahren wegen Aerosolbildung vermeiden?

Etwa 5–8% der COVID-19-Patienten werden intensivpflichtig. In den meisten Fällen ist dafür eine akute hypoxämische respiratorische Insuffizienz als Hauptgrund verantwortlich.1 Soll man bei diesen Patienten nun eine Eskalationsstrategie meiden und sie gleich frühzeitig intubieren? Schließlich gelangen bei nichtinvasiven Beatmungsverfahren mehr virushaltige Atemluftpartikel in die Umgebung als nach endotrachealer Intubation. Die Ansteckungsgefahr ist für das Personal folglich erhöht, auch wenn der Hauptübertragungsweg von SARS-CoV-2 aktuell noch kontrovers diskutiert wird.3

Für die Übertragung durch Aerosole sind vor allem Tröpfchen zwischen 1–5 µm relevant, da bei dieser Größe eine Ablagerung im unteren Respirationstrakt abgelagert werden. Der Durchmesser von SARS-CoV-2 beträgt übrigens 0,06–0,14 µm.4 Die UKE-Autoren weisen angesichts der hohen Effektivität von High-Flow-Sauerstofftherapie und nichtinvasiver Beatmung den Verzicht auf diese aerosolgenerierenden medizinischen Prozeduren (AGMPs) zurück: "Zwar kommt es durch AGMPs zu einem relevanten Anstieg einer Aerosolbildung, jedoch darf unserer Auffassung nach die Angst vor AGMPs nicht dazu führen, dass den Patienten eine gut etablierte und indizierte Therapie vorenthalten wird."1

Worauf zu achten ist

Bei der High-Flow-Sauerstofftherapie ist auf den richtigen Sitz der Kanüle zu achten. Zudem sollte die Therapie möglichst in Räumen mit technisch geregeltem Luftaustausch durchgeführt werden. Die gleichzeitige Verwendung einer einfachen chirurgischen Maske reduziert gemäß fluiddynamischen Computerberechnungen die Aerosolbildung um den Patienten um über 80% (dazu gibt es eine schöne Abbildung aus der zitierten Originalarbeit5).

Bei nichtinvasiver Beatmung hängt die Aerosolbildung maßgeblich vom verwendeten Schlauchsystem ab. Eine Maskenleckage ist zu vermeiden, was am ehesten mit  einem geeigneten Doppelschlauchsystem mit Beatmungshelm gelingt. Es sollten "unbedingt virenrückhaltende Beatmungsfilter eingesetzt werden, insbesondere bei der Verwendung von Einschlauchsystemen", so die Hamburger Intensivmediziner. Folglich sollte man  von Leckage-Masken (Vented-Masken) die Finger lassen, da sie keine Möglichkeit für den Einsatz eines Filters zwischen Patient und Leckage bieten.1

Auch jenseits der Maßnahmen zur Atmungsunterstützung ist der Gefahr der Virusübertragung durch Aerosole und Tröpfchen durch geeignete Schutzmaßnahmen in Klinik und Praxis zu begegnen. Dazu zählen u. a. der Mund-Nasen-Schutz beim Patienten und eine adäquate persönliche Schutzausrüstung beim behandelnden Personal. Als Mindestausstattung gelten eine Atemschutzmaske der Stufe FFP2 (oder höher), Kittel, Schutzbrille und Handschuhe.

Neues zu den Schlagworten "Schule" und "Reha" folgt in Teil 2 dieses Beitrags.

Referenzen:
1. Grensemann J, Kluge S. Nichtinvasive Beatmung und Ansteckungsrisiko: Aerosole von COVID-19-Patienten. Dtsch Arztebl 2020;117(31-32):A-1498
2. Karagiannidis C et al. Case characteristics, resource use, and outcomes of 10021 patients with COVID-19 admitted to 920 German hospitals: an observational study. Lancet Respir Med 2020;8(9):853-62
3. Klompas M et al. Airborne Transmission of SARS-CoV-2: Theoretical Considerations and Available Evidence. JAMA 2020. DOI:10.1001/jama.2020.12458
4. Zhu N et al. A Novel Coronavirus from Patients with Pneumonia in China, 2019. N Engl J Med  2020;382(8):727-33
5. Leonard S et al. Preliminary Findings of Control of Dispersion of Aerosols and Droplets during High Velocity Nasal Insufflation Therapy Using a Simple Surgical Mask: Implications for High Flow Nasal Cannula. Chest 2020;158(3):1046-9

Abkürzungen:
UKE = Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Sprachlicher Hinweis:
Für eine bessere Lesbarkeit verwenden wir im Pneumologie Blog die männliche Form (z. B. "Patienten", "Ärzte"). Es sind stets alle Personen unabhängig vom Geschlecht gemeint.