Aufgabe mit Zukunft: die Steigerung der App-Kompetenz

Wie viele Diabetologen würden eine Diabetes-App empfehlen? Gibt es ein Qualitätssiegel zur Orientierung? Ist das Ausland weiter? Antworten in diesem Beitrag.

Wie viele Diabetologen würden eine Diabetes-App empfehlen? Gibt es ein Qualitätssiegel zur Orientierung? Ist das Ausland weiter? Antworten in diesem Beitrag.

Wir setzen den letzten Beitrag zum Thema Diabetes-Apps fort. Mehr als die Hälfte dieser "datenhungrigen und intransparenten Multifunktionspakete" gehören zur höchsten Risikoklasse 4: einerseits weil sie eine intensive Nutzung erfordern, andererseits weil sie hochsensitive Daten verlangen. Darauf weist der niedergelassene Diabetologe Dr. Richard Daikeler in der erwähnten Online-Fortbildung hin.

Der IT-Fachanwalt Oliver Ebert erinnert (natürlich) an den zu beachtenden Datenschutz und die Probleme mit der Datensicherheit. Und an die dem Behandlungsvertrag implizite Forderung an den Arzt, seinen Patienten über alle Risiken, die aus Therapie und Hilfsmitteln – also auch Diabetes-Apps – resultieren können, zu informieren.

Das ewige Mantra: Datenschutz und -sicherheit

Erfolgt im Rahmen des Diabetes-Datenmanagements, etwa bei einer Synchronisation, eine Datenübertragung an Dritte (z. B. Hersteller), so ist zwingend eine vorherige Einwilligung des Patienten erforderlich. Sofern die Daten nur scheinbar anonym, in Wirklichkeit aber personenbeziehbar sind, etwa über die Geräteseriennummer. "Der Arzt trägt hier das volle und komplette Aufklärungsrisiko – insbesondere zu Art, Umfang, Zweck und Empfänger (Rechtsform!) der Datenübermittlung", so Ebert.

Die juristischen Warnungen und Fallstricke werden den zunehmenden Einsatz von Diabetes-Apps und anderen mobilen Health-Produkten nicht aufhalten und sollten es auch nicht. Als Arzt wird man sich für die Beratung bis hin zur Empfehlung und interaktiven Anwendung solcher Apps fit machen und, wo nötig, für dokumentierte Aufklärung und Einverständnisbekundung des Patienten sorgen. Eine leicht verständliche Unterstützung bei der Ermittlung möglicher Risiken von Datenmanagement-Lösungen sowie Praxistipps bietet die "Checkliste zur Vermeidung rechtlicher Probleme".

CE-Kennzeichen ist kein Qualitätssiegel

Übrigens ist die Bewerbung einer medizinischen App mit dem CE-Kennzeichen im Sinne eines Qualitätssiegels irreführend und damit unzulässig. Denn das CE-Kennzeichen, das der Hersteller selbst und ohne externe Prüfung vergibt, sagt nichts über die Qualität der App aus. Sondern nur, ob es sich dabei um ein Medizinprodukt handelt. Das hängt von der Funktionalität der Anwendungssoftware ab. Ist etwa lediglich das Führen eines digitalen Tagebuchs vorgesehen, handelt es sich um kein Medizinprodukt. Bei einer Auswertung der Daten dagegen schon und der Hersteller muss die Diabetes-App dann entsprechend kennzeichnen.

Ist Deutschland im Rückstand?

Wie sieht es eigentlich im Ausland aus? In einer App-Studie1, die uns in die die Hände fiel, heißt es: "In anderen Ländern sind bereits heute mobile Endgeräte quer durch alle Bevölkerungsschichten weit verbreitet und es ist auf ärztlicher Seite wie bei Patientinnen und Patienten eine hohe Nutzungsrate von Apps im gesundheitlichen Kontext gegeben. Hier sprechen Versorger gegenüber ihren Patientinnen und Patienten bereits vermehrt App-Empfehlungen aus (Zhang und Koch 2015)."

Die in Klammern zitierte Studie2, eine webbasierte Umfrage, hat zwar mit nur 44 antwortenden Ärzten eine eher schmale Basis. Dafür stammt sie aus dem "Early Adopter"-Land Schweden, wie es die beiden Autoren vom Karolinska Institut in Stockholm ausdrücken. Ergebnis: Nur ein kleiner Teil der Rückmelder empfahl zum Befragungszeitpunkt ihren Patienten mobile Gesundheits-Apps. Die meisten Ärzte äußerten aber eine positive Einstellung gegenüber dieser Technologie und sahen den Hauptnutzen in einem verbesserten Selbstmanagement der Patienten. Bemängelt wurde vor allem das Fehlen von evidenzbasierten Inhalten und mehrsprachiger Unterstützung. Das Wissen der Ärzte über zertifizierte Webseiten zur Qualitätssicherung war den Autoren zufolge gering. Nun ja …

Neuseeland: 20 Prozent der Patienten nutzen, 60 Prozent der Diabetologen empfehlen

In einer neuseeländischen Studie3, die Anfang des Jahres publiziert wurde, befragte man die Patienten einer Diabetes-Klinik und Ärzte bei einem Diabetes-Kongress. Die Ergebnisse:

Hier ist die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) tätig geworden und untermauert damit auch einen gewissen (Nolens-volens-) Führungsanspruch der Diabetologie in der digitalisierten Medizin. Dazu gleich mehr.

Deutschland: 48 Prozent der Diabetologen haben App getestet, 61 Prozent würden eine empfehlen

Zuvor noch der Blick zurück nach Deutschland, wo natürlich auch Umfragen stattfinden. Etwa im vergangenen Jahr unter 200 Ärzten und Apothekern, online und repräsentativ durch DocCheck im Auftrag von Ascensia Diabetes Care. "84 Prozent der Befragten haben bereits von Diabetes-Apps gehört", heißt es. Und: "Die Gruppe der Diabetologen kennt sich am besten mit dem App-Angebot aus: 48 Prozent haben bereits eine digitale Anwendung getestet – im Vergleich dazu sind es bei den Allgemeinmedizinern nur 9 Prozent."

Und es gibt noch eine weitere Differenzierung: "Vor allem jüngere Befragte unter 45 Jahren erkennen die Vorteile der Diabetes-Apps. Daher sind es insbesondere junge Mediziner (51 Prozent) und Diabetologen (61 Prozent), die die Anwendungen auch an ihre Patienten weiterempfehlen würden. Mit steigendem Alter hingegen nimmt die Empfehlungswahrscheinlichkeit eher ab." Nun gut, das hätte man so ähnlich wohl auch vermuten können.

Erstes Qualitätssiegel für Diabetes-Apps: gemeinsam getestet!

Für die Empfehlungsfindung gibt es jetzt – mangels einer offiziellen Stelle – Unterstützung seitens DDG & Co.: Die eigens aufgestellte "DiaDigital"-App-Gruppe* hat mit dem Bochumer Zentrum für Telematik und Telemedizin (ZTG) ein Qualitätssiegel für Diabetes-Apps entwickelt. Es dient dazu, "erstmals den Nutzen der Apps für Behandler, Betroffene und den Hersteller" zu beurteilen und "Licht in den Diabetes-App-Dschungel" zu bringen. Die ersten vier Apps wurden bereits mit dem Siegel ausgezeichnet.

Auf jeden Fall ein interessanter Ansatz: "Unsere Bemühungen stellen den ersten Ansatz in Deutschland dar, Diabetes-Apps von Betroffenen und Behandlern gemeinsam zu beurteilen und diese damit gleichzeitig ggf. zu verbessern", sagt Dr. Matthias Kaltheuner, ein leitendes Mitglied der DiaDigital-App-Gruppe. Wo er sicher Recht hat: "Eine Behörde könne den Nutzen für die Betroffenen nicht so gut beurteilen wie diese selber", heißt es in der DDG-Pressemitteilung. App-Hersteller können sich um das Siegel bewerben. Erforderlich ist dazu die Abgabe einer Selbstauskunft zum Produkt.

Über 50 Patienten und Ärzte haben sich als App-Tester bei DiaDigital bisher registriert. Die Steigerung der eigenen App-Kompetenz ist dabei ein lohnendes Ziel. Vielleicht haben Sie auch Interesse an einer Teilnahme?

* Die "DiaDigital"-App-Gruppe wurde gemeinsam von DDG, diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe, dem Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland und der Deutschen Diabetes-Hilfe – Menschen mit Diabetes unter der Federführung der Arbeitsgemeinschaft Diabetes & Technologie der DDG gegründet.

Aktuelle Expertenbeiträge zu diesem Thema lesen Sie jede Woche neu im esanum Diabetes Blog.

Referenzen:
1. Albrecht UV (Hrsg.). Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps (CHARISMHA). Medizinische Hochschule Hannover, 2016.
2. Zhang Y, Koch S. Mobile health apps in Sweden: what do physicians recommend? Stud Health Technol Inform 2015;210:793-7.
3. Boyle L et al. Use of and Beliefs About Mobile Phone Apps for Diabetes Self-Management: Surveys of People in a Hospital Diabetes Clinic and Diabetes Health Professionals in New Zealand. JMIR Mhealth Uhealth 2017;5(6):e85. doi: 10.2196/mhealth.7263.