Hilft Apfelessig gegen Diabetes?

Apfelessig scheint das reinste Wundermittel zu sein – jedenfalls, wenn man sich mal im Internet umschaut. Aber stimmt das wirklich?

Apfelessig und Diabetes

Beitrag aktualisiert am 18.04.2023

Anlässlich einer Patientenanfrage haben wir uns mal ein bisschen im Internet zum Thema Apfelessig und Diabetes umgeschaut. Tatsächlich sind dort unzählige Berichte über die positiven Wirkungen des Apfelessigs u.a. als Schlankmacher, Cholesterinsenker, Antimikrobiotikum, Krebsmittel und auch als "unverzichtbarer Helfer bei Diabetes" zu finden – häufig mit Verweis auf irgendwelche Studien und fast immer mit der Bewerbung "besonders geeigneter" Produkte.

"Ebenso wirksam wie verschiedene Arzneimittel"

Hier ein paar Zitate zum Antidiabetikum Apfelessig:

In Foren wird zudem über Selbstversuche mit dem Naturprodukt berichtet. Kein Wunder, dass Patienten also auch bei ihrem Arzt nachfragen. Was soll man ihnen dann sagen? Wie sieht es mit der Evidenz aus?

Positiven Effekte von Essig sind schon länger bekannt

Studien, tradierte heilkundliche Praktiken und anekdotische Berichte lassen auf einen gesundheitlichen Nutzen des Essigs u.a. als antimikrobielles Agens und bei kardiovaskulären Erkrankungen sowie Diabetes schließen. Die Hypothesen zur antiglykämischen Wirkungsweise sind zahlreich. Diskutiert werden etwa eine verzögerte Magenentleerung, ein gesteigertes Sättigungsgefühl und eine erhöhte intrazelluläre Glukoseresorption.

Die spezifische Evidenz zum Einsatz von Apfelessig bei der Blutzuckerkrankheit ist zwar stetig im Wachsen begriffen, aber noch überschaubar. Es handelt sich vorwiegend um klinische Studien mit sehr geringer Teilnehmerzahl oder um tierexperimentelle Untersuchungen. Außerdem wird die Essigquelle nicht immer genannt.

Viele, aber kleine Studien

Im Jahr 2004 wurde in einer Publikation1 in Diabetes Care beschrieben, dass Essig die Insulinsensitivität bei Patienten mit Insulinresistenz und Typ-2-Diabetes verbessert. Nach einer hochglykämischen Mahlzeit wie z. B. Kartoffelpüree half er, die postprandialen Blutzuckerspiegel zu reduzieren. Nach Mahlzeiten mit niedrigem glykämischen Index (z. B. Vollkornbrot mit Salat) wurde dieser Effekt nicht beobachtet. Die Arbeit stammt von der US-amerikanischen Ernährungsexpertin Prof. Carol Johnston von der Arizona State University. Sie hat mittlerweile zehn kleine randomisiert-kontrollierte Studien zum Einfluss von Essig(säure) auf diabetische Blutzuckerspiegel durchgeführt und sechs Paper veröffentlicht.

Darunter auch eine Studie2 mit 11 Probanden, bei der sich zwei Teelöffel Apfelessig kombiniert mit einem kleinen Stück Käse vor dem Zubettgehen positiv auf den Morgenzucker auswirkten. Mit einer Reduktion um 6 % profitierten vor allem Typ-2-Diabetiker mit einer über 130 mg/dl erhöhten Nüchternglukose von der abendlichen Essigingestion.

"Menschen mit Prädiabetes profitieren vermutlich besonders"

In einem CNN-Interview aus dem vergangenen Jahr zieht Johnston folgendes Fazit: Am ehesten profitieren wohl Menschen mit Prädiabetes von der blutzuckersenkenden Wirkung des Essigs. Der hauptsächliche Mechanismus liegt der Wissenschaftlerin zufolge in der Blockade der Stärkeresorption durch Essigsäure begründet – unabhängig von der Essigsorte. Ihre Empfehlung: Essig ins Salatdressing (siehe mediterrane Küche!) oder verdünnt in Wasser als nichtalkoholischer Aperitif.

Johnston weist aber auch darauf hin, dass es bisher – mangels großer Studien – keine Evidenz dafür gibt, dass Essig eine Diabetes-Erkrankung signifikant beeinflussen oder verhindern kann. (Tja, wer hätte wohl Interesse, aufwändige Essig-Studien zu finanzieren?)

Vor drei Jahren ergab eine griechische Crossover-Studie3 mit 11 Patienten mit Typ-2-Diabetes: Die Essigeinnahme vor einer Mahlzeit reduzierte signifikant die postprandial erhöhten Blutzucker-, Insulin- und Triglyzeridspiegel, ohne die Lipolyse zu beeinflussen. Den Effekt führen die Autoren zumindest teilweise auf eine gesteigerte insulinvermittelte Glukose-Aufnahme in die Skelettmuskulatur zurück, die sie beobachten konnten.

Nützlich vor allem als Naturprodukt, nicht als Tabletten

Recht positiv äußerten sich in einem Beitrag4 aus dem Jahr 2016 zwei australische Wissenschaftlerinnen: "Apfelessig ist ein leicht erhältliches Produkt, das auf einfache Weise Mahlzeiten hinzugefügt werden kann. Eine große Anzahl von Forschungsarbeiten hat die nützlichen Eigenschaften des Produkts im Ganzen als auch seiner individuellen Komponenten Essigsäure und Chlorogensäure demonstriert. Apfelessig kann die Kontrolle von Blutzucker, Lipiden, Gewicht und Blutdruck unterstützen und dadurch beim Management des Typ-2-Diabetes hilfreich sein."

Und wie sieht es mit Nebenwirkungen und Risiken aus? Die gibt es potenziell natürlich auch. Der Essigeinsatz kann die Effekte einer antidiabetischen Medikation eventuell verstärken und Dosisanpassungen erforderlich machen. Außerdem kann Apfelessig eine gastroparetische Neigung bei länger bestehendem Diabetes verschlimmern, wie eine Studie5 mit Typ-1-Diabetikern zeigte. Schließlich wurde schon von ösophagealen Verletzungen durch kommerziell erhältliche Apfelessig-Tabletten berichtet, deren Säuregehalt stark schwanken und das Drei- bis Fünffache von normalem Essig betragen kann.

Ergebnisse einer ganz aktuellen Metaanalyse

Eine 2021 veröffentlichte Metanalyse7 hatte zum Ziel, die Auswirkung von Apfelessig auf den Lipid- und Zuckerstoffwechsel bei Erwachsenen systematisch zu überprüfen. Neun Forschungsarbeiten wurden dafür ausgewertet. Die Ergebnisse sprechen für eine positive Wirkung des Essigs auf den Zucker- und Fettstoffwechsel. Im Einzelnen zeigten sich folgende Effekte:

Interessant war auch der Effekt auf "gesunde" Menschen, die weder an Diabetes noch an einer Fettstoffwechselstörung litten: In dieser Subgruppe führte Apfelessig zu einem Anstieg des Nüchternblutzuckers und des "guten" HDL-Cholesterins.

Fazit

Je gesünder der Lifestyle, desto eher kann auf die massenhaft im Internet beworbenen Lifestyle-Produkte verzichtet werden – zugunsten einer sinnvollen Anwendung der naturbelassenen Ressourcen. Eine wichtige Botschaft für die Patienten könnte lauten: die Salatsauße trinken, nicht wegschütten.

Referenzen:

  1. Johnston CS et al. Vinegar improves insulin sensitivity to a high-carbohydrate meal in subjects with insulin resistance or type 2 diabetes. Diabetes Care 2004;27(1):281-2
  2. White AM et al. Vinegar Ingestion at Bedtime Moderates Waking Glucose Concentrations in Adults With Well-Controlled Type 2 Diabetes. Diabetes Care 2007;30(11):2814-5.
  3. Mitrou P et al. Vinegar Consumption Increases Insulin-Stimulated Glucose Uptake by the Forearm Muscle in Humans with Type 2 Diabetes. J Diabetes Res 2015;2015:175204.
  4. Morgan J, Mosawy S. The Potential of Apple Cider Vinegar in the Management of Type 2 Diabetes. Int J Diabetes Res 2016;5(6):129-34
  5. Hlebowicz J. Effect of apple cider vinegar on delayed gastric emptying in patients with type 1 diabetes mellitus: a pilot study. BMC Gastroenterol 2007;7:46.
  6. Peloso E. Apple cider vinegar for diabetes: Limited evidence, potential risks. Pharmacy Today 2016;22(2):18
  7. Hadi A. et al. The effect of apple cider vinegar on lipid profiles and glycemic parameters: a systematic review and meta-analysis of randomized clinical trials. BMC Complement Med Ther. 2021 Jun 29;21(1):179