Lebensverändernde Fortschritte in der Diabetes-Therapie - Was kommt nach Insulinpumpe und Diabetes-App?

Die künstliche Bauchspeicheldrüse soll Typ-I-Diabetikern helfen, ihre Freiheit zurückzuerlangen – und dabei eine bessere Blutzuckereinstellung ermöglichen als bisherige Therapien.

Die künstliche Bauchspeicheldrüse soll Typ-I-Diabetikern helfen, ihre Freiheit zurückzuerlangen – und dabei eine bessere Blutzuckereinstellung ermöglichen als bisherige Therapien.

Nach 17 Jahren der Entwicklung steht ein bionisches Pankreas in den USA kurz vor der Zulassung. Die bihormonale Pumpe setzt selbstständig entweder Insulin oder Glukagon frei, je nach Blutzuckerspiegel. Dieser wird über einen am Körper getragenen Sensor zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) erfasst und drahtlos an ein Smartphone gesendet, welches sodann die Pumpe steuert.

Zwei dünne subkutane Katheter verbinden das Gerät mit dem Patienten. Der Prototyp iLet™ erinnert optisch selbst an ein Smartphone, nur etwa doppelt so dick. Die Anwender brauchen selbst nichts mehr zu tun - die Eingabe von Mahlzeiten ist nicht obligatorisch und wenn, dann müssen keine BEs gezählt werden. Schwer umsetzbare Restriktionen hinsichtlich der Mahlzeiten oder des Ausübens von Sport würden damit für Typ-I-Diabetiker der Vergangenheit angehören.

Automatische Regelung des Glukose-Stoffwechsels im Hosentaschen-Format?

Eine 2017 im Lancet erschienene, multi-zentrische Studie an 39 erwachsenen Typ-I-Diabetikern zeigte eine bessere Kontrolle der Blutzuckerspiegel durch das „Bionic Pancreas“ im Vergleich zur üblichen Therapie der Patienten (konventionelle oder Sensor-gestützte Insulinpumpen-Therapie).1

Die Patienten wurden randomisiert zwei Blöcken zugeteilt: 20 verwendeten zuerst für elf Tage das bionische Pankreas, die anderen 19 zuerst ihre gewohnte Therapie, gefolgt von elf Tagen der jeweils anderen Intervention. Körpergewicht und Laborparameter unterschieden sich nicht zwischen den Beobachtungszeiträumen. 

In allen 39 Fällen verbesserte das bionische Pankreas im Beobachtungszeitraum die Blutzuckereinstellung auf dreierlei Weise:

Der besondere Wert dieser Studie besteht in ihrem Setting. Die Patienten lebten in ihrer normalen häuslichen Umgebung, gingen ihren gewohnten Tätigkeiten nach und hatten keinerlei Auflagen zu erfüllen, konnten essen und trinken, was sie wollten, wann sie wollten, Sport treiben so viel oder wenig sie wollten – zur Initialisierung des Systems wurde lediglich das Körpergewicht eingegeben und der Algorithmus des iLet adaptierte sich automatisch, vom ersten Tag an.   

Mehrheit der Diabetiker erreicht unter bisher etablierten Therapien keine optimale Blutzucker-Einstellung

Im klinischen Alltag zeigt sich sogar oft, dass Patienten die Zielbereiche kaum oder gar nicht erreichen. Durch Tragen des bionischen Pankreas wurden bei 92% der Probanden mittlere Blutzuckerspiegel erreicht, die einem geschätzten HbA1c-Wert ≤ 7% entsprechen würden. In der Gruppe unter Therapie mit gewöhnlicher Insulinpumpe erreichten nur 41% der Patienten diesen Zielbereich. 

Auch Blutzucker-Schwankungen im Tagesverlauf wurden stark reduziert. Viele Typ-I-Diabetiker nehmen aus Angst vor nächtlichen Hypoglykämien erhöhte Glukosespiegel in Kauf. Während der Anwendung des "Bionic Pancreas" traten in nur 0,6% der Fälle Hypoglykämien auf (versus 1,9% unter der üblichen Therapie). Unter "Bionic Pancreas" wurden weder schwere Hypoglykämien noch andere schwere Nebenwirkungen beobachtet.

Alle genannten Verbesserungen des Blutzucker-Managements mithilfe des "Bionic Pancreas" konnten zuvor schon in Kohorten von

in einem jeweils 5-tägigen Studienzeitraum nachgewiesen werden.

Der Begründer dieser Innovation, Prof. Edward Damiano, Ph.D., betont neben den harten Zahlen auch die psychische Entlastung durch die bihormonale Pumpe. Wir hatten eben festgestellt, dass 59% Prozent der Patienten unter ihrer üblichen Therapie den Zielbereich ihrer Blutzucker-Einstellung nicht erreichten. Diese Patienten mussten trotzdem viel Zeit und Mühe in ihre Therapie investieren und sich jeden Tag intensiv mit ihrer chronischen Erkrankung auseinandersetzen. Mit dem künstlichen Pankreas erreichten 92% der Patienten den Zielbereich und mussten nicht mehr an ihren Diabetes denken. Der mathematische Algorithmus steuert selbst, welche Dosis von Insulin oder Glukagon verabreicht wird, alle 5 Minuten.

Wo ist daran der "Haken", mögen manche sich jetzt fragen?

Bis Glukagon eine Zulassung für die Pumpentherapie erhält, muss die bihormonale Pumpe noch warten. Eine Version mit nur einer Kammer für Insulin soll es schon früher geben, Zulassungsstudien laufen derzeit. Seit Sommer 2017 ist mit dem System Medtronic 670G in den USA schon ein "Hybrid-Closed-Loop"-System auf dem Markt, das allerdings nicht ganz so weit geht wie das bionische Pankreas. Es kombiniert eine Insulinpumpe mit einem Sensor zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM). Anwender müssen hier allerdings die Menge der Kohlenhydrate selbst eingeben und zwei Mal täglich per herkömmlicher Blutzuckermessung kalibrieren.4 Ab 2018 könnte dieses auch in Deutschland verfügbar werden.

Aktuelle Expertenbeiträge zu diesem Thema lesen Sie jede Woche neu im esanum Diabetes Blog.

Referenzen:
1. El-Khatib, F. H. et al. Home use of a bihormonal bionic pancreas versus insulin pump therapy in adults with type 1 diabetes: a multicentre randomised crossover trial. The Lancet 389, 369–380 (2017).
2. Russell, S. J. et al. Outpatient glycemic control with a bionic pancreas in type 1 diabetes. N. Engl. J. Med. 371, 313–325 (2014).
3. Russell, S. J. et al. Day and night glycaemic control with a bionic pancreas versus conventional insulin pump therapy in preadolescent children with type 1 diabetes: a randomised crossover trial. Lancet Diabetes Endocrinol. 4, 233–243 (2016).
4. Buchmüller, H. Diese Diabetes-Technologie kommt 2017. Available at: http://www.diabetes-news.de/nachrichten/diese-diabetes-technologie-kommt-2017. (Accessed: 22nd November 2017)