Malen, Zeichnen, Schreiben: Wie Kunst die Genesung unterstützt

Kunst hilft heilen! Prof. Dr. Jalid Sehouli über die Notwendigkeit kunsttherapeutische Elemente in das Gesundheitskonzept zu integrieren.

Kunst sollte zum Gesundheitskonzept gehören

Wie hängen eigentlich Kunst und Medizin zusammen? Sie lagen ursprünglich sehr eng beieinander. Sie hatten ihren Ursprung oft in ein und derselben Person. Früher hatten Heiler sehr häufig auch andere Berufe. Sie waren zugleich Künstler, Philosophen, Schriftsteller, Musiker. Erst als sich die Medizin zunehmend naturwissenschaftlich orientierte, hat sie sich weiter von der Kunst entfernt. Das war vielleicht in einer bestimmten Zeit sinnvoll. Aber aktuell gibt es wieder Versuche, integrative Medizin zu implementieren. Das heißt, Kunst, Medizin und Kultur wieder näher zusammenzubringen. Und zwar einmal für die Patientinnen - zum Beispiel in der Maltherapie, der Musiktherapie, der Kunsttherapie, um die Krankheitsverarbeitung zu unterstützen. Um mit sich selbst und anderen in Dialog zu kommen, um die Paralyse und die Traumata, die bei schweren Krankheiten auftreten, zu überwinden. Kunst sollte in diesem Sinne zum Gesundheitskonzept gehören. 

Wir haben in meiner Klinik das Kreative Schreiben seit fast fünf Jahren im Programm, dafür haben wir eine Schreib-Therapeutin engagiert. Sie unterstützt Patientinnen dabei, sich schreibend mit ihrer Erkrankung und ihrer Lebenssituation auseinanderzusetzen und so eine neue Orientierung zu finden. Das ist bisher noch nicht Teil eines klassischen Gesundheitskonzeptes und keine therapeutische Rezeptur, die verschrieben werden kann – mit Ausnahme weniger psychischer und psychosomatischer Diagnosen.

Ich bin überzeugt, dass kunsttherapeutische Elemente grundsätzlich ins Therapiekonzept gehören.

Künstler- und Arztsein: Warum nicht beides parallel?

Aber Kunst ist nicht nur hilfreich und heilend für Patientinnen und ihre Angehörigen, sondern auch für die Therapeuten selbst – um sich selbst zu schützen, die eigene Achtsamkeit zu pflegen und den eigenen Charakter in die Medizin einbringen zu können. Es gab in der Geschichte schon immer Musiker und Schriftsteller, die von acht bis 20 Uhr Arzt waren und sich danach ihren Künsten hingegeben haben. Also warum soll das nicht auch heute parallel möglich sein? Warum kann man nicht alle seine vielfältigen Fähigkeiten in der Arzt-Patienten-Kommunikation nutzen? Es gibt Untersuchungen, die zeigen, wie verbindend das sein kann. Und das wäre auch eine gute Prävention gegen das "Ausbrennen" der Ärzte – einfach weil man sich nicht mehr so anstrengend verstellen müsste, weil man echt und authentisch sein könnte. So könnte der Arzt, die Ärztin, eigene Persönlichkeitsanteile besser einbringen, um sich einerseits abzugrenzen und andererseits die oft schwierigen Situationen und Ereignisse für sich zu verarbeiten.

Ich selbst nutze meine Fähigkeiten bewusst auch außerhalb der Medizin, indem ich schon mehrere belletristische Bücher publiziert habe und gerade wieder an einem Roman schreibe. Ich gehe auf Lesereisen, die mich auch in der Medizin weiterbringen. Dabei habe ich zunehmend gemerkt, wie wichtig der Dialog ist. Ich habe oft erlebt, wie dankbar und zufrieden Menschen sind, wenn ich eine Operation erfolgreich durchgeführt hatte – aber die Wertschätzung für eine Geschichte zu erfahren, das war ein neues Erlebnis und ein Impuls, der mir sehr viel Kraft für das tägliche Arbeiten in der Klinik gibt.

Wie wertvoll ist die Kunst bei der Heilung?

Wie wertvoll die Kunst bei der Heilung sein kann, sehe ich regelmäßig in der Maltherapie in unserer Klinik, wobei beispielsweise Konflikte mit der Partnerbeziehung und mit der Krankheit visualisiert und artikuliert werden. Wir haben schon ganz unglaubliche Geschichten erlebt, weil Patientinnen selbst überrascht waren, wie gut sie malen können. Und auch im Projekt Cancer Survivor artikulieren sich die Langzeitüberlebenden sehr gern über ihre Kreativität. In der Cancer-Survivorship-Klinik haben wir ein offenes Atelier, wo Patientinnen Tango tanzen oder mit Therapeutinnen in Museen gehen – sie nutzen die Kunst, um mit sich selbst oder mit anderen in den Austausch zu kommen. Das erreicht auch gerade solche Patientinnen, die von klassischen Psychoonkologen sonst schwer zu motivieren sind.

Kunst und Medizin gehören enger zusammen

Wie kriegen wir diese Erfahrungen und Erkenntnisse nun in die Breite? Das ist die Frage, die mich beschäftigt. Ich denke, dass eine offene Grundhaltung bei vielen Medizinern schon existiert. Jetzt geht es um die Frage der Standardisierung. Also: Was ist eine Kreativtherapie? Wie misst man deren Erfolg? Dafür muss interprofessionell und interdisziplinär ein Konsensus-Papier erarbeitet werden. Und wir brauchen natürlich die Unterstützung der Krankenkassen. Denn was wir im Moment anbieten, machen wir ehrenamtlich oder über Spendengelder. Damit ist die Situation fragil und nicht nachhaltig. Deswegen sollte es bei schweren onkologischen oder chronischen Erkrankungen verpflichtend sein, derartige Angebote zu offerieren. Wenn ich mich frage, ob ich eine reale Chance für diese Herangehensweise sehe, dann sage ich: Durchaus! Wir haben schon jetzt im Rahmen der Europäischen Gilde für Medizin und Kultur eine Gruppe von Studierenden und jungen Ärzten, die sich für diesen Ansatz stark machen. Der Gedanke, Kunst und Medizin gehören enger zusammen, hat Zukunft!

Mehr zum Thema auch im Podcast Weissbunt von Prof. Dr. Sehouli.


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