Klimawandel und die Auswirkungen auf Menschen mit Diabetes

Im DDG-Symposium zum Thema Klimawandel werden neben der globalen Betrachtung der Problematik auch der direkte Bezug zum Diabetes mellitus thematisiert sowie praxisnahe Präventionsmaßnahmen der Diabetestherapie bei Hitzeperioden diskutiert.

Diabetes Prävalenz und Klimawandel - zwei Züge auf Kollisionskurs

Die zunehmende Hitzebelastung durch die Erderwärmung ist Folge des Klimawandels. Doch langfristig betrachtet, wird es nicht - wie aktuell - bei einer globalen Temperaturanstieg von "nur" 1,4°C bleiben. Die 2°-Celsius-Marke wird definitiv überschritten werden und voraussichtlich - wenn wir ohne Maßnahmen weitermachen wie bisher - auf bis zu 4°C ansteigen. Ein absehbares Abflachen der Klimakurve ist laut Klimaforschung nicht in Sicht, so Erhard Siegel während seines Vortrags "Auswirkungen von Klimawandel: Bezug zum Diabetes mellitus" im Rahmen des Symposiums zum Thema Klimawandel auf dem DDG Diabeteskongress 2022.

Derzeit sind schätzungsweise weltweit circa 425 Millionen Menschen im Alter zwischen 20 und 79 Jahren an Diabetes erkrankt. In Deutschland sind knapp 7 Millionen Menschen von Diabetes betroffen - die Dunkelziffer ausgenommen.

"Wenn wir uns jetzt überlegen: was passiert gerade? Nehmen wir mal als Beispiel Indien mit 50 Grad im Monat Mai. Das ist eine Temperaturerhöhung, die wir in den nächsten Jahrzehnten als Standard vor allem im globalen Süden wahrscheinlich erreichen werden. Das heißt, es wird also definitiv große Regionen geben, in denen wir als Menschen bei dieser Entwicklung nur schwer überleben können." Das sind extreme Außentemperaturen, so Siegel, in denen Menschen mit Diabetes nicht mehr überlebensfähig sein werden.

Der Zusammenhang zwischen Klimawandel und Diabetes

Die Zahl der Menschen mit Diabetes mellitus wird in den nächsten Jahrzehnten vor allem in Ländern zunehmen, in denen der Klimawandel zu extrem hohen Temperaturen führt. Nach aktualisierten Schätzungen ist weltweit einer von elf Erwachsenen an einer Form des Diabetes mellitus erkrankt. Wenn nicht weitere Präventionsmaßnahmen eingeleitet werden, wird laut Diabetes-Atlas der International Diabetes Federation (IDF) die Anzahl der Menschen mit Diabetes bis 2045 weltweit auf 693 Millionen ansteigen. Somit werden circa 80% der Menschen mit Diabetes in Entwicklungsländern leben.
 

Diabetesfälle weltweit (2017) und Anstieg der Diabeteserkrankungen bis 2045 (Foto: IDF)

Der Klimawandel selbst hat - aufgrund von Luftverschmutzung, Feinstaubpartikeln und toxischen Reaktionen auf Ebene der Betazelle - neben Adipositas und Unterernährung, einen großen Einfluss auf eine erhöhte Diabetes-Inzidenz. Zudem begünstigen die Hitzebelastung und andere extreme Wetterereignisse - die u.a. die Versorgung und die Kühlketten von Insulin unterbrechen können - die Diabetes-Exazerbation und -Mortalität.

Auf der anderen Seite steuern Menschen mit Diabetes mellitus einen überproportional großen Anteil am Klimawandels bei, da sie wegen ihrer eingeschränkten Fähigkeit zur Wärmeregulation eine erhöhte Hitzemorbidität und -mortalität aufweisen. Zusätzlich haben Diabetespatienten durch den erhöhten Ressourcenverbrauch und hohen Anteil an Diabetesmüll einen größeren CO2-Fußabdruck. 

Warum reagieren Diabetiker so vulnerabel auf Hitzestress?

Die Hitzeanpassung beim Menschen ist bestimmt durch den feuchten und den trockenen Hitzeaustausch. Bei Menschen mit Diabetes mellitus sind diese physiologischen Anpassungsmechanismen deutlich eingeschränkt. Die verminderte Thermosensitivität ist bedingt durch periphere und zentrale Störungen der regulierenden Schweißdrüsen und Blutgefäße. Menschen mit Diabetes sind in Bezug auf Hitzestress in den folgenden Reaktionen sogar dreifach gestört:

"Es wird unmöglich sein, bei einer derartigen Temperaturerhöhung letztendlich in irgendeiner Art und Weise diese Temperatur, die wir aufnehmen, durch den trockenen Verlust an Wärme wieder abzugeben. Das ist als Mensch mit Diabetes nicht mehr machbar", so Siegel.

Besonders für Insulin-pflichtige Patienten seien die Folgen hoher Außentemperaturen gravierend. Bei erhöhtem Blutfluss für den trockenen Hitzeaustausch wird das Insulin schneller als üblich im Körper verteilt und aufgenommen und begünstigt dadurch ein erhöhten Risiko einer Hypoglykämie. Im Gegensatz dazu kann es bei Menschen mit Diabetes, die nur unzureichend mit oralen Antidiabetika eingestellt sind, zu einer Hyperglykämie kommen. Der Hitzeaustausch wird weiter gehemmt und Dehydrierung ist die Folge.

Wenn nun Komorbiditäten, wie…

… dazukommen, dann sind Menschen mit Diabetes extrem gefährdet, frühzeitg zu versterben.

Wie können Ärzte zur Prävention von Hitzestress beitragen?

Handlungsfelder in der Praxis bei Hitzewellen:

Praktische Empfehlungen der Diabetestherapie:

"Green Diabetes" und Recycling von Diabetesmüll

Das Thema "Green Diabetes" mit Vermeidung von Verpackungsmüll, Wiederverwertung und Recycling von Diabetestechnologie gewinnt nicht nur zunehmend an Bedeutung, sondern stellt die Gesundheitsversorgung im Bereich Diabetes mellitus vor großen Herausforderung.

Der Gesundheitssektor macht derzeit 6,7% des gesamten CO2-Fußabdruckes in Deutschland aus. Der Appell geht daher zu einem an die Ärzteschaft, aber in erster Linie an die Industrie.

Es gilt, die verschiedenen Bestandteile des Abfalls zu separieren und zu schauen: was ist welche Art von Müll und wohin mit dem Diabetesmüll? Lutz Heinemann unterteilt in seinem Vortrag “Green Diabetes” den Abfall eines durchschnittlichen Diabetespatienten wie folgt:

Die Recylingproblematik ist klar: Was kann ich tatsächlich recylen? Insulinpumpen und Pens bestehen teilsweise aus verschieden Arten von Kunststoff. Der Aufwand, diese sachgemäß zu recylen, ist teils größer, als das Produkt thermisch - und damit umweltschädlicher - zu entsorgen. So muss auf Herstellerseite, so Heinemann, neues Plastikmaterial erforscht und neue Designs entwickelt werden oder eine Regulation zur Wiederverwendung erfolgen - so wie es derzeit in Brasilien Vorschrift ist, Insulinpens zu recylen.

Doch auch auf der Ebene der Ärzte und Patienten muss laut Heineman ein Umdenken erfolgen. Der Mensch sei zu sehr daran gewöhnt, in linearen Vorgängen zu denken: auf die Produktion folgt Verpackung, Verteilung, Gebrauch und letztendlich Abfall. Ein Bewusstsein für den gesamten Kreislauf, inklusive Ausmaß an Medizinabfall und Arzneimittelauswirkungen auf die Umwelt, sei notwendig,

"Es ist wichtig, dass man nicht mit dem Finger auf eine Gruppe zeigt, sondern, dass jeder guckt: was kann ich tun?"

Referenzen:
  1. Erhard Siegel "Auswirkungen von Klimawandel: Bezug zum Diabetes mellitus" in: Klimawandel und die Auswirkungen auf die fachübergreifende Gesundheitsversorgung im Bereich Diabetes mellitus, DDG-Symposium; Vortrag on demand, Abruf am 03.06.2022.
  2. Lutz Heinemann "Green Diabetes" in: Klimawandel und die Auswirkungen auf die fachübergreifende Gesundheitsversorgung im Bereich Diabetes mellitus, DDG-Symposium; Vortrag on demand, Abruf am 03.06.2022.
  3. Regionale Innovationsnetzwerk (RIN) Diabetes e.V. "IDF veröffentlicht neuen Diabetes Atlas", Abruf am 03.06.2022.