Die Zukunft der Kardiologie: Präzisionsmedizin?

Die Herzmedizin sieht sich technischen und finanziellen Herausforderungen gegenübergestellt. Auch der demographische Wandel verlangt eine neue Denkart der Kardiologie.

Zukünftige Entwicklungen der Herzmedizin 

Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben global gesehen die höchste Anzahl an vermeidbaren Todesfällen zu verschulden. Doch dies könnte sich in Zukunft ändern, so Prof. Dr. med. Stefan Blankenberg, Klinikdirektor des UKE und Ärztlicher Leiter des Universitären Herz- und Gefäßzentrums Hamburg.

Eine der größten Rollen hinsichtlich moderner medizinischer Technik wird in Zukunft wohl die Genomik spielen. Am Beispiel der Volkskrankheit Vorhofflimmern machte Blankenberg deutlich, wie die Genomik Auskunft darüber geben kann, welche genetischen Loci, die die Vererbung für ein Risiko eines Vorhofflimmerns qualifizieren, vorhanden sind. Aufbauend darauf könnte man individuelle Präventionsmaßnahmen gegen einen Schlaganfall treffen, der häufig ein Vorbote von Vorhofflimmern sein kann. Ebenso im Falle der koronaren Herzerkrankung kann eine sehr frühe Risikobestimmung mittels der Messung des Lipoprotein(a)-Werts erfolgen. Darauf aufbauend kann dann eine individuelle Präventionsstrategie aufbauen bzw. eine spezifische Therapie durchgeführt werden. Mittels der Genomik wird erfasst, welche 5% der Patienten einem besonders hohen Risiko für Herz-Kreislauf-Ereignisse ausgesetzt sind und demnach beispielsweise stark von einer Statintherapie profitieren würden.1 Dank dem Einsatz der Genomik kann Übertherapie effektiv vermieden werden.2  

Zudem werden intelligente Decision Support Systems immer mehr in die Praxis integriert: Kardiologen sehen sich häufig mit dem Symptom Brustschmerz konfrontiert. Mittels eines Decision Support Systems kann in Zukunft schnell und sicher festgestellt werden, welcher Patient guten Gewissens nach Hause geschickt werden kann, da dem Brustschmerz keine gefährlichen Ursachen zugrunde liegen. Dies würde wiederum zu einer Entlastung der personell knapp besetzten Kliniken führen.1 

Herausforderung demographischer Wandel

Der demographische Wandel äußert sich nicht nur in einer Überalterung der Gesellschaft, sondern auch in einer notwendigen Veränderung von Strukturen unseres Gesundheitssystems.3 Denn immer weniger menschliche Ressourcen stehen zur Verfügung, um die wachsende Anzahl an Patientinnen und Patienten zu behandeln. Gleichzeitig findet eine immer stärkere Spezialisierung in der Medizin statt, was gegenläufig zum Trend der Multimorbidität und Multisystemerkrankungen läuft.4 Demnach lassen sich laut Univ.-Prof. Dr. med. David Leistner, Kardiologieprofessor, Klinikdirektor des Universitätsklinikums Frankfurt am Main und Referent auf dem diesjährigen Kongress der DGK, drei zentrale Herausforderungen für die Herzmedizin der Zukunft ableiten: 

  1. Mit äußerst limitierten personellen Ressourcen müssen viele komplex-kranke "Octogenarians" behandelt werden, und zwar in Krankenhäusern, die es nicht mehr gibt. 
  2. Neue Versorgungskonzepte werden benötigt. Diese müssen kostengünstig, effektiv und nicht-human sein, denn der Pflegebedarf angesichts der aktuellen Versorgungssituation steigt bereits in wenigen Jahren um 150 %. 
  3. Die Herzmedizin von 2050 muss evidenzbasiert und vor allem personalisiert sein. Vor einer Intervention muss die Frailty von Patienten untersucht werden und dann anhand sinnvoller individueller Endpunkte eine personalisierte Therapie durchgeführt werden. Nur so kann nicht einer Übertherapie entgegengewirkt und sichergestellt werden, dass nur die Patienten behandelt werden, denen eine Intervention auch wirklich hilft.3 

Damit diese Herausforderungen so klein wie möglich bleiben, ist die Steigerung von Awareness bezüglich der Prävention kardiovaskulärer Ereignisse ebenso ein wichtiger Punkt in der Herzmedizin der Zukunft.5  

Kardiovaskuläre Präzisionsmedizin: Die Lösung aller Probleme? 

Individuelle Präzisionsmedizin erlaubt es, zahlreiche komplex erkrankte Patienten mit hoher Präzision, ressourcenschonend und mit höherer Qualität als nach jetzigen Standards behandeln zu können. Zum jetzigen Zeitpunkt erfolgt zumeist eine Behandlung nach dem "one-size-fits-all-Prinzip", aufgrund personeller sowie gesundheitsstruktureller Umstände. 

Wie können wir die Medizin also in fünf bis sieben Jahren verändern? Basierend auf den bisherigen Ansätzen wird die Integration von Ganzgenomdatensätzen bessere Voraussagen für die Herzgesundheit geben. Auch weitere Entwicklungen der Bildgebung werden die klinische Praxis maßgeblich verändern.1,3 

Die Präzisionsmedizin steht derzeit noch vielen strukturellen Herausforderungen unseres Gesundheitssystems gegenüber. "Den Gap an Human Resources können wir nur durch Digitalisierung schließen", merkt Leistner an. Denn: Die Integration digitaler Tools hilft bei Prävention, Diagnostik und Therapie, womit digitale Medizin das Schlüsselelement ist, das effektive Präzisionsmedizin erst umsetzbar macht und dabei den drastischen Personalmangel im medizinischen Bereich kompensiert. Dies erfordert allerdings die Anpassung unseres Gesundheitssystems auf vielen Ebenen, unter anderem muss eine nationale Versorgungsstrategie greifen.

Die Lösung steht also schon in den Startlöchern und wird – nicht nur von den Referenten auf dem DGK Kongress – gespannt erwartet. 

Weitere Highlights des DGK Kongresses 2023 finden Sie in unserer Kongressberichterstattung.

Referenzen:
  1. Blankenberg, Stefan. "Blick in die Glaskugel – Welche Entwicklungen sind zu erwarten?". Session: Chancen, Visionen und Limitationen der modernen Herzmedizin, DGK 2023. 
  2. Laufs, Ulrich. "Wie lässt sich einer Übertherapie begegnen?". Session: Chancen, Visionen und Limitationen der modernen Herzmedizin, DGK 2023. 
  3. Leistner, David. "Immer effektivere Therapie einer zudem alternden Gesellschaft – Welche Herausforderungen kommen auf uns zu?". Session: Chancen, Visionen und Limitationen der modernen Herzmedizin, DGK 2023. 
  4. Bosch, Ralph. "Welche Gefahren liegen in Spezialisierung, Digitalisierung und künstlicher Intelligenz?". Session: Chancen, Visionen und Limitationen der modernen Herzmedizin, DGK 2023. 
  5. Hambrecht, Rainer. "Warum spielt Prävention in unserem Alltag keine Rolle?". Session: Chancen, Visionen und Limitationen der modernen Herzmedizin, DGK 2023.