Motivierende Patientenberatung in der Praxis umsetzen

Patienten zu mehr Bewegung zu motivieren, ist oft nicht einfach. Tipps zur Patientenberatung gibt Prof. Christine Joisten im Interview und muntert dazu auf, mehr zuzuhören.

Interview mit Prof. Dr. Dr. Christine Joisten 

Die Schlüsselelemente der motivierenden Beratung

Die motivierende Beratung, zunächst für Menschen mit Suchtproblemen entwickelt, findet mittlerweile auch rege Verwendung im medizinischen Bereich sowie der Gesundheitsförderung. So kann sie auch angewendet werden, wenn Ärztinnen und Ärzte zu mehr Bewegung und einem gesunden Lebensstil motivieren möchten. 

Aufgeteilt ist die motivierende Gesprächsführung in zwei Phasen, Phase 1: Aufbau von Veränderungsbereitschaft und Phase 2: Stärkung der Selbstverpflichtung. Dabei wird auf konfrontatives Vorgehen verzichtet. Durch Reflexion des Patienten wird in der ersten Phase die körperliche Aktivität analysiert und im Idealfall eine Änderungsbereitschaft kultiviert. In der zweiten Phase erfolgt dann eine konkrete, gemeinsame Zielausgestaltung, die darin resultieren soll, dass sich Patientinnen und Patienten mehr bewegen. Insgesamt geht es neben der Detektion möglicher hinderlicher Faktoren, aber auch Ressourcen, ebenso um die Vermittlung von Wissen: Welche Form der Bewegung ist richtig für den individuellen Patienten und wie muss diese körperliche Aktivität ggf. an den individuellen Gesundheitszustand angepasst werden?  

Die motivierende Beratung folgt fünf Schlüsselelementen: 

  1. Empathie zeigen: Die Beratung dreht sich um den Patienten, Ärztin bzw. Arzt hört aktiv zu und versetzt sich in den Patienten hinein.  
  2. Diskrepanz erzeugen: Mithilfe offener Fragen wird Patientinnen und Patienten dabei geholfen, Argumente für eine Lebensstiländerung zu entwickeln. 
  3. flexibler Umgang mit Widerstand: Deeskalierende Strategien nutzen, um Ambivalenz oder Widerstand zu minimieren. 
  4. Selbstwirksamkeit stärken: Patientinnen und Patienten werden in der Zuversicht bestärkt, Lifestyleinterventionen umsetzen zu können. 
  5. Beweisführung vermeiden: Ein ungesunder Lebensstil wird nicht verurteilt, und nicht pauschal zur Ursache für potenziell vorliegende Krankheiten erklärt. 

Das 5As-Modell: Hand in Hand mit der motivierenden Beratung 

Ursprünglich als Modell zur Raucherentwöhnung konzipiert, gibt das 5As-Modell eine Abfolge an Schritten vor, mithilfe derer gezielt auf Patientinnen und Patienten eingegangen werden kann. Das systematische Prinzip der 5As lässt sich gut in die Technik der motivierenden Beratung integrieren, so Joisten. 

Die 5As lauten: 

  1. Ask (Fragen): Hier werden Patientinnen und Patienten nach ihrem Lebensstil gefragt und danach, wie viel sie sich in ihrem Alltag bewegen. Außerdem werden individuelle Ziele erfragt. 
  2. Advise (Beratung): Patientinnen wird auf personalisierte Weise geraten, mehr Bewegung in ihren Alltag zu integrieren. 
  3. Assess (Beurteilung): Ärztin oder Arzt beurteilt, ob die zu behandelnde Person wirklich daran interessiert ist, den eigenen Lebensstil zu verändern. Zudem werden individuelle Gesundheitsrisiken abgeklärt und beurteilt. 
  4. Assist (Assist): Mittels regelmäßigen Gesprächsangeboten oder Tools wie Bewegungs-Tagebüchern und Fitnesstrackern werden Patienten Schritt für Schritt bei der Lifestyleintervention unterstützt. Die konkrete Ausgestaltung dieser Unterstützung sollte mit Patientinnen und Patienten gemeinsam entwickelt werden, im Sinne der partizipativen Entscheidungsfindung.
  5. Arrange (Vermittlung): Einige Zeit nach der initialen Intervention wird ein Follow-Up-Gespräch vereinbart, außerdem wird beispielsweise auf nahegelegene, niedrigschwellige Sportangebote verwiesen.

So funktioniert die motivierende Beratung am besten

Die motivierende Beratung bzw. Gesprächsführung lässt sich insbesondere bei Patientinnen und Patienten einsetzen, die ein hohes Risikoprofil haben. Betroffene, die eher inaktiv sind, vielleicht an Diabetes, Bluthochdruck oder einer Fettstoffwechselstörung leiden, können besonders von einer Motivierenden Beratung profitieren. Hier wirkt der Nutzen jeder Maßnahme doppelt, so Joisten, da Bewegung auch aktiv gegen diese Erkrankungen helfen kann. 

Wenn der hektische Praxisalltag überhand nimmt, ist es unabdingbar, zu selektieren, welche Patienten überhaupt empfänglich für eine Motivierende Beratung sind. Laut Joisten sieht man sehr schnell an der Reaktion von Patientinnen und Patienten, wie offen sie einer Lebensstiländerung gegenüber sind. Hier gilt es, seine Zeit und Energie zu sparen, wenn die Beratung bereits zu Beginn auf heftigen Gegenwind oder Desinteresse stößt. Ein nochmaliges Nachhaken einige Monate später ist sicher nicht verkehrt, jedoch sollte man sich lieber auf die Patienten konzentrieren, die ab dem ersten Gespräch offen für Veränderung zu sein scheinen, meint Joisten. 

Außerdem muss man sich fragen, welche Einstellung man selbst Bewegung gegenüber hat, betont Joisten. 

"Wenn ich eine negative Einstellung gegenüber Bewegung habe, werde ich das ausstrahlen. Wenn ich aber selbst begeisterte Bewegungswissenschaftlerin bin, dann werde ich das Thema ganz anders vermitteln."

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