Kollateralschaden ist nicht hinnehmbar

Der gemeinsame Beschluss von Bundesregierung und Ministerpräsidenten, dass sich die Krankenhäuser in Deutschland auf die Versorgung der PatientInnen mit COVID-19 konzentrieren sollen, gefährdet andere nicht unbegrenzt aufschiebbare Patientenschicksale, wie z. B. die von Tumorbetroffenen  – Ein Fehler im System?

Virus-Krise darf Tumorversorgung nicht gefährden

Am 13.02.2020 sandte das Gesundheitsministerium einen Brief an die Geschäftsführer aller Deutschen Krankenhäuser aus, indem der gemeinsame Beschluss von Bundesregierung und Ministerpräsidenten der Bundesländer bekannt gegeben wurde, dass sich die Krankenhäuser in Deutschland auf die Versorgung der  PatientInnen mit COVID-19 konzentrieren sollen – Ein Fehler im System?

Alle planbaren Eingriffe und Operationen sollen, wie mitgeteilt, verschoben werden. Damit hat sich der Bund klar zu einer Notfallversorgung und Versorgung von COVID-19-PatientInnen positioniert. In der Folge wurden vielerorts die Beatmungsgeräte aus Operationssälen und Aufwachräumen abgezogen und werden nun bis auf Weiteres für COVID-19-PatientInnen vorgehalten.

Minimalprogramme machen andere PatientInnen zu Kollateralschäden

Eine deutliche Verknappung an OP- und IMC-Kapazitäten zur postoperativen Überwachung ist jetzt die Folge. Eine Reduktion des Operationsprogramms ist unumgänglich und längst in vielen Regionen in Deutschland Realität. Operative Minimalprogramme sind an der Tagesordnung. Den politischen Entscheidern, wie auch den ÄrztInnen, muss sicher bewusst sein, dass diese Situation nun Wochen und Monate anhalten wird. Vorsichtig einschätzend wird sich daher der Krankenhausbetrieb vermutlich erst in Monaten ansatzweise normalisieren.

Mit dieser Perspektive sollte aus der Sicht der UrologInnen jetzt sofort umgedacht werden. Es ist die umgehend umzusetzende große Aufgabe des Gesundheitssystems, die Erbringung dringlicher Diagnostik und Therapie (z. B. bei KrebspatientInnen) in die aktuelle Gesamtstrategie mit einzubeziehen und auch sicherzustellen.

So gibt es eine Reihe von prinzipiell elektiven aber insgesamt dringlichen Operationen. Eine Verschiebung ist grundsätzlich möglich. Längerfristige oder wiederholte Verschiebungen (in der Konsequenz 2–3 Monate) sind bei einer Reihe dieser Operationen medizinisch nicht vertretbar. Bei einer sehr großen Patientengruppe droht eine gesundheitliche Entwicklung, die teilweise nicht mehr umkehrbar sein wird.

TumorpatientInnen können oftmals nicht warten

Ein Stichwort symbolisch für solche Fälle ist: "Metastasierung eines Tumorleidens auf der Warteliste". Dies bedeutet für den Patienten, dass sich ein initial heilbarer Tumor zu einer nur noch palliativ zu behandelnden, chronischen und lebensverkürzenden Erkrankung entwickelt. Für diese PatientInnen kämpfen die ÄrztInnen täglich in den Zeiten stark verknappter OP- und IMC-Ressourcen. Sie dürfen daher weder von der Politik noch von der öffentlichen Wahrnehmung ausblendet werden.

Operative Fachrichtungen wie die Urologie sind sich der Herausforderung bewusst und haben bereits Priorisierungslisten erarbeitet, um Dringlichkeit zu definieren. Entscheidungen über die Zuteilung der verknappten OP- und IMC-Ressourcen erfolgen in vielen deutschen Regionen nun als tagesbezogene Einzelfallentscheidungen gemeinsam mit allen operativ und interventionell tätigen Fachrichtungen an einem Standort, die dringliche Operationen angemeldet haben.

Die Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) – die größte nationale medizinische Fachgesellschaft für Urologie in Europa – vertritt die Fachgruppe, in der die meisten soliden Krebserkrankungen diagnostiziert und behandelt werden. Durch eine strikte Priorisierung der PatientInnen tun sie alles in ihrer Macht stehende, um den Ausbau der Kapazitäten für COVID-19-PatientInnen zu unterstützen.

Bei der Aufrechterhaltung der Versorgung der dringlich zu behandelnden Personen stoßen die UrologInnen schon jetzt an die Grenzen des von den Behörden neu vorgegebenen Priorisierungssystems. Vor dem oben geschilderten Hintergrund bittet die urologische Fachgesellschaft dringend und stellvertretend für viele andere medizinische Fachgesellschaften, sich jetzt dem Thema Mindestkapazitäten für dringliche Operationen und Interventionen unverzüglich anzunehmen.

Auch Nicht-COVID-19-PatientInnen benötigen Diagnostik und Therapie

Die PatientInnen benötigen eine zeitlich angemessene Diagnostik und Therapie, die ÄrztInnen benötigen dafür aber rahmenbildende politische Unterstützung. Ab sofort müssen daher konstante verfügbare  Mindestkapazitäten mit definierten OP- und IMC-Kapazitäten für die dringlich zu behandelnde Patientengruppe politisch verankert werden, sonst wird COVID-19 auch für nichtinfizierte, aber dringend behandlungsbedürftige PatientInnen zum gesundheitsgefährdenden Problem. 

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