Krankenhausreform und Diabetologie - große Chance auch für ambulante Versorgung

Welche Chancen bietet die geplante Klinikreform für den Fachbereich Diabetologie? Darüber berichtet Dr. med. Tobias Wiesner im Interview.

Dr. med. Tobias Wiesner über die Chancen der Krankenhausreform

Dr. Wiesner, es geht aktuell um die Reform der Krankenhäuser - inwiefern sind hier niedergelassene Diabetologen betroffen?

Wiesner: Wir haben mit der Krankenhausreform die ganz große Chance, Sektorengrenzen zu überbrücken und Strukturen zu schaffen, in denen die wachsende Zahl von Diabetes-Patienten weiterhin gut versorgt wird. Im Moment haben wir in der Versorgung voneinander getrennte Sektoren, die relativ fix sind. Das ist auch dem derzeitigen Vergütungssystem geschuldet. Für den Patienten ist das Wandern zwischen den Sektoren, also zwischen Ambulanz und Klinik, immer ein disruptiver Vorgang. Der Behandlungspfad wird jeweils unterbrochen - es sei denn, man hat regionale Strukturen, in denen ambulante Diabetologen mit den stationären Kollegen gut vernetzt sind. Es ist unabdingbar, dass wir ambulanten Vertragsärzte in den Reformprozess eingebunden sind und unsere Expertise einbringen können. Im derzeitigen Reformprozess sind scheinbar Ökonomen und Juristen noch unter sich. 

Es ist zu erwarten, dass demnächst weit mehr Patientinnen in die Praxen kommen, wie kann das aufgefangen werden? 

Wiesner: In der aktuellen Lesart dieser Reformversion geht man davon aus, dass die ambulante Versorgung in den Kliniken stattfinden soll. Deswegen sagen wir, die Deutsche Diabetes Gesellschaft: Binden wir die Vertragsärzte ein. Schaffen wir Synergien. Wir ambulanten Ärzte haben zunehmend sehr viele Patienten, wir sind einem engen Zeitmanagement und einem Budget unterworfen. Auch hier muss sich etwas ändern, wenn wir die Versorgung weiter sichern wollen. Hier braucht es sektorenübergreifende Konzepte, an denen wir gern mitwirken.

Wie stellen Sie sich die Versorgungsbrücke zwischen ambulanter und stationärer Behandlung von Diabetes-Patienten idealerweise vor? 

Wiesner: Nur 17 Prozent aller Diabetes-Patienten, die ins Krankenhaus kommen, landen in einer Klinik mit einer Fachabteilung Diabetologie. Es bietet sich also an, dass wir eine Brücke schlagen zwischen ambulanter Diabetologie und stationärer Versorgung. Wir ambulant tätigen Diabetologen können uns mit unserer personellen, strukturellen und technologischen Kompetenz in die Versorgungsstrukturen einbringen. Das ist dann auch eine Frage der Vergütung. 

Eine Versorgungsbrücke kann dafür sorgen, dass der Patient die Sektoren entspannter durchläuft und Brüche vermieden werden. Das ist die Idee. 

Es ist die Rede von Diabetes-Units an den Krankenhäusern, wie sollen sie funktionieren? Stichwort ist hier auch moderne Technik, mit der Patienten ausgestattet sind, die aber das Krankenhauspersonal oft nicht handhaben kann.

Wiesner: Diabetes-Units sind die Idee, ein Diabetes-Team in jeder Klinik der Versorgungsstufe 2 und 3 zu etablieren. Im Level 1 könnte man die diabetologische Kompetenz von extern dazu holen. Zu einer Diabetes-Unit gehört jeweils ein Diabetologe und eine Mitarbeiterin der Diabetes-Fachberufe. Sie könnten über die Stationen gehen und ihre Expertise einbringen. Hier muss auch technologische Kompetenz angesiedelt sein.

Unser Fach ist ja technologisch sehr stark aufgestellt. Wir nutzen hochmoderne elektronische Systeme und elektronische Diabetesakten. In diese Regelversorgung können die stationären Kollegen derzeit gar nicht einsteigen. IT-Sicherheitsstrukturen in den Krankenhäusern sorgen außerdem dafür, dass bestimmte Dinge, wie beispielsweise Glucosesensoren, nicht unbedingt integrierbar sind. Das ist nicht von heute auf morgen zu ändern. Aber regional ist der kurze Weg durchaus jetzt schon möglich - sodass der ambulante Kollege in bestimmten Fällen einbezogen wird und dem stationären Kollegen hilfreich zur Seite steht. 

Diabetologen sind knapp, egal ob in Kliniken oder in Praxen. Wie kann das Fach für den Nachwuchs attraktiver werden? 

Die aktuellen DRGs, also die Abrechnung nach Fallpauschalen, haben dazu geführt, dass die Diabetologie für viele Häuser nicht mehr attraktiv genug war. Das hat die Präsenz des Faches reduziert. Statt einst zwanzig Lehrstühlen für Diabetologie haben wir derzeit noch neun. Dadurch ist für den Ausbildungsassistenten die Diabetologie nicht als spannendes Fach wahrnehmbar. 

Die Krankenhausreform bietet jetzt die große Chance, für vulnerable Erkrankungen wie den Diabetes Vorhaltepauschalen zu etablieren. Das würde die Attraktivität des Faches auch aus ökonomischer Sicht sofort steigern. Und darüber hinaus geht es darum, mehr Weiterbildungsmöglichkeiten anzubieten. Und da sind auch wir ambulanten Diabetologen wieder mit im Boot und können uns in Weiterbildungsverbünden einbringen. Auch hier können die Sektorengrenzen fallen. 

Dr. med. Tobias Wiesner

Dr. med. Tobias Wiesner ist Ärztlicher Leiter am Medizinischen Versorgungszentrum Stoffwechselmedizin Leipzig. Außerdem ist Wiesner Vorstandsmitglied der Deutschen Diabetes Gesellschaft.