Presbyakusis: Können Hörgeräte vor kognitivem Abbau schützen?

Zwei Drittel der über 70-Jährigen leiden an Schwerhörigkeit. Die hohe Rate unbehandelter Schwerhöriger bedeutet möglicherweise verschenktes Präventionspotenzial im Hinblick auf Demenz.

Presbyakusis stellt unabhängigen Risikofaktor für Demenz dar

Eine Analyse von 56.000 über 60-Jährigen aus diesem Jahr bestätigte dies erneut: nach Bereinigung um Faktoren wie Alter, Geschlecht und Komorbiditäten (Diabetes, kardiovaskuläre und zerebrovaskuläre Erkrankungen, Rauchen) lag die Neuerkrankungsrate für Demenz bei Menschen mit Hörverlust doppelt so hoch wie bei denjenigen mit gesundem Gehör (10,2 pro 1.000 versus 5,4 pro 1.000 Personenjahre).1,5 Je länger die Schwerhörigkeit schon bestand und je ausgeprägter diese war, desto höher war das Risiko für eine Erkrankung.

Fehlender sensorischer Input und soziale Isolation führen zu nachteiligen strukturellen Veränderungen im Gehirn

In einem vergangenen Neurologie-Beitrag waren wir bereits darauf eingegangen, dass eine unbehandelte Presbyakusis zur Reorganisation wichtiger Areale im Gehirn und zu einer veränderten Expression von Neurotransmitter-Rezeptoren führt und somit die Funktion des Gedächtnisses und wichtiger Hirnareale, wie dem Hippocampus, kompromittiert.

Auch für Menschen im berufstätigen Alter, die aus anderen Gründen von Schwerhörigkeit betroffen sind (etwa laute Arbeiten ohne Gehörschutz), ist an einer populationsbasierten Kohorte von mehr als 16.000 45- bis 64-Jährigen eine signifikante Zunahme des Demenz-Risikos gezeigt.6 Doch nicht nur Demenz, auch Depressionen sind immer wieder mit Hörminderung in Verbindung gebracht worden und sorgen für eine erhebliche Krankheitslast weltweit. Laut einer großen Stichprobe betagter Menschen der ARIC-NCS-Kohorte (Atherosclerosis Risk in Communities Neurocognitive Study) war eine leichte Hypakusis mit einer 1,9-fach erhöhten Wahrscheinlichkeit für depressive Symptome verknüpft und eine mittelschwere oder stärkere Hypakusis mit einer 2,4-fach erhöhten Wahrscheinlichkeit (im Vergleich zu Hörgesunden).7
Aufgrund der stetig weiter in die Höhe schießenden Raten von Demenz und Depressionen läge in der Modifikation solcher Risikofaktoren ein großes Potenzial zur Entlastung der Gesundheitssysteme und zur Verbesserung der Lebensqualität.

Können Hörgeräte dazu beitragen, Demenz aufzuhalten?

Aber können Hörgeräte helfen, das Problem von Demenz, psychischen Problemen oder Stürzen bei älteren Menschen einzudämmen? Die bereits weiter oben genannte Studie zum Link zwischen Hörverlust und Depressionen zeigte, dass leichte, mittlere und schwere Probleme mit dem Gehör nicht mit Depressionen assoziiert waren, wenn die Betroffenen über Hörgeräte verfügten.7 Eine andere Studie8 an 115.000 schwerhörigen Erwachsenen über 66 Jahren beschrieb ebenfalls einen Zusammenhang zwischen der Verwendung von Hörgeräten und einem geringeren Risiko eines körperlichen und geistigen Abbaus. Innerhalb von 3 Jahren nach Diagnose einer Schwerhörigkeit betrug die risikobereinigte Hazard Ratio für diejenigen, die Hörgeräte nutzten, im Vergleich zu denjenigen, die keine verwendeten, 0,82 für die Diagnose von Alzheimer/Demenz (95% KI 0,76-0,89), 0,89 für Angstzustände/Depressionen (95% KI 0,86-0,93) und 0,87 für Sturzverletzungen (95% KI 0,80-0,95). Mindestens genauso denkwürdig wie diese Zahlen war der Versorgungsgrad mit Hörhilfen und dessen ungleiche Verteilung (dagegen erscheint die eingangs genannte Zahl von weniger als einem von fünf nahezu noch moderat): etwa 13,6 % der weißen, 9,8 % der schwarzen und 6,5 % der hispanischen Studienpopulation trug Hörgeräte.

Hier handelte es sich um eine retrospektive Auswertung von Versicherungsdaten, streng genommen lässt sich hier also keine Kausalität unterstellen, im Kontext mit den eingangs skizzierten Studienergebnissen erscheint die Verbindung aber klinisch bedeutsam. Aufgrund des langsam schleichenden Verlaufes von kognitivem Abbau wären noch weitere, vor allem randomisierte kontrollierte, Langzeitstudien nötig, um diese Frage noch besser beantworten und das Ausmaß des Nutzens quantifizieren zu können.4 Als Barriere für die Durchführung solcher Studien werden meist die Kosten einer Hörgeräteversorgung genannt. Ein wenig paradox, wenn man bedenkt, dass nur wenige erwiesene Interventionen zum Aufhalten einer demenziellen Entwicklung existieren.

Quellen:

1. Age-Related Hearing Loss Is Associated with Incident Dementia in Adults Over 60. ENTtoday https://www.enttoday.org/article/age-related-hearing-loss-is-associated-with-incident-dementia-in-adults-over-60/.

2. Sharma, R. K., Chern, A. & Golub, J. S. Age-Related Hearing Loss and the Development of Cognitive Impairment and Late-Life Depression: A Scoping Overview. Semin Hear 42, 10–25 (2021).

3. Undertreated & Undiagnosed: Age-Related Hearing Loss. http://www.thehearingconsultants.com/blog/undertreated-undiagnosed-age-related-hearing-loss/.

4. Do Hearing Aids Help Prevent Cognitive Decline? ENTtoday https://www.enttoday.org/article/do-hearing-aids-help-prevent-cognitive-decline/.

5. Chern, A., Sharma, R. K. & Golub, J. S. Hearing Loss and Incident Dementia: Claims Data From the New York SPARCS Database. Otology & Neurotology 43, 36–41 (2022).

6. Liu, C.-M. & Lee, C. T.-C. Association of Hearing Loss With Dementia. JAMA Netw Open 2, e198112 (2019).

7. Shukla, A. et al. Hearing Loss, Hearing Aid Use, and Depressive Symptoms in Older Adults-Findings from the Atherosclerosis Risk in Communities Neurocognitive Study (ARIC-NCS). J Gerontol B Psychol Sci Soc Sci 76, 518–523 (2021).

8. Mahmoudi, E. et al. Can Hearing Aids Delay Time to Diagnosis of Dementia, Depression, or Falls in Older Adults? J Am Geriatr Soc 67, 2362–2369 (2019).