Ersetzt KI bald den Radiologen? Nein, aber sie ist die Zukunft

Die Flut der medizinischen Bilder steigt. Die Radiologie setzt jetzt auf den Fortschritt der Künstlichen Intelligenz. Dr. Aymen Meddeb verrät, was er von KI in seinem Fach tatsächlich hält.

Fakt: Es werden mehr Radiologen gebraucht

Professor Geoffrey Hinton, der anerkannte Gottvater der Theorie zu neuronalen Netzen, war 2016 überzeugt: Man sollte aufhören, Radiologen auszubilden. Ihren Job würde demnächst die Künstliche Intelligenz erledigen. Der britische Informatiker und Kognitionspsychologe hatte natürlich Gründe für seine steile These. Es ist tatsächlich so, dass die KI bestimmte Erkrankungen auf Röntgenbildern gut erkennen kann.

Dennoch habe ich mich zwei Jahre nach seiner spektakulären Vorausschau entschlossen, meinen Facharzt in Radiologie zu machen. Seit meiner Assistenzzeit bin ich nun Facharzt an der Charité – und eines ist bisher nicht eingetreten: Zu wenig Arbeit.

Doch noch heute fragen mich Studierende, die ich in der Ausbildung betreue, ob es sich lohnt, Radiologe zu werden – sprich: ob sie morgen noch einen sicheren Job haben. Ich beruhige sie dann immer: Tatsächlich ist es so, dass eher mehr Radiologen gebraucht werden, statt weniger.

Ich habe keine Sorge, dass KI meinen Job übernehmen wird

Wie kommt der renommierte Professor darauf, so eine Prophezeiung zu wagen? Zunächst mal war es eine gewisse Übertreibung, dass die KI schon in einigen Jahren so weit sein könnte, alle Bilder sicher einzuschätzen und zuverlässige Diagnosen zu liefern. Daher habe ich keine Sorge, dass diese Technik eines Tages meinen Job übernehmen wird. Um die Algorithmen überhaupt ausreichend trainieren zu können, braucht man zunächst eine unglaublich gewaltige Datenmenge. Man verfügt einfach nicht über zehn Millionen Bilder von beispielsweise Pneumonien, von denen die KI lernen kann. Diese Mengen an Daten zu bekommen, ist extrem schwierig – auch aus Datenschutzgründen. Das sind strukturelle Probleme bei der weiteren Entwicklung der KI im medizinischen Bereich.

Ein zweiter Punkt ist: Bevor Ärzte tatsächlich von KI ersetzt werden könnten, müssen diverse ethische Aspekte ausdiskutiert sein. Die Frage ist zum Beispiel, analog zum autonomen Fahren: Wer haftet bei einer Fehldiagnose, die zum Tod eines Patienten führt? Der KI-Programmierer? Die Herstellerfirma? Das Krankenhaus?

Ich kann mir die Zukunft der Medizin ohne KI nicht vorstellen

Trotz der ungelösten Probleme sage ich aber auch: Ich kann mir die Zukunft der Medizin ohne KI nicht vorstellen. Sie wird auf absehbare Zeit uns Radiologen nicht ersetzen, sondern uns helfen, bestimmte Routineaufgaben zu übernehmen, sodass wir uns auf sinnvollere Aufgaben fokussieren können, beispielsweise mit Patienten zu sprechen oder die Fälle bei interdisziplinären Konferenzen vorzustellen. So kann KI als Handwerkszeug eingesetzt werden. Erstaunlicherweise gibt es noch wenig Softwares, die wirklich zugelassen sind. Zum einen, weil die Datenmengen für das Training der Algorithmen fehlen und zum anderen, weil es noch viel Skepsis in den Krankenhäusern gibt. Zum Teil auch aus Kostengründen.

Ein Beispiel: Uns wurde eine Software angeboten, die extrem gut Frakturen erkennen kann. Das ist wirklich toll. Sie soll aber pro Jahr so viel kosten wie eine komplette Arztstelle –  kann aber nur eine einzige Aufgabe übernehmen, eben Frakturen erkennen. Das erscheint derzeit nicht sinnvoll.

Retrospektive Daten zeigen: Hätte die KI richtig gelegen?

Was mit KI wirklich aktuell und demnächst möglich ist, das erforsche ich an der Charité auch selbst. Ich habe nebenbei Programmieren gelernt, verstehe nun die Algorithmen und kann sie für unsere Zwecke trainieren und weiterentwickeln. Ich bekomme dafür auch Forschungstage eingeräumt. Das macht Spaß und Sinn.

Aktuell beschäftige ich mich mit Koma-Patienten nach Herzstillstand. Wenn sie mit der Rettung eingeliefert werden, ist es sehr wichtig, schnell zu ermitteln: Haben sie bereits einen hypoxischen Hirnschaden erlitten? Das ist für die Prognose äußerst relevant. Ich habe der KI also Bilder gezeigt von Patienten, die überlebt haben und solchen die verstorben sind. Sie sucht nun nach Merkmalen in den Bildern, um zusammen mit anderen Parametern eine Prognose zu stellen. Derzeit stellen wir anhand retrospektiver Daten fest: Hätte die KI hier richtig gelegen oder nicht? Es gibt offensichtliche Fälle, bei denen Arzt und KI zu 90 Prozent richtig liegen. Und für die kniffligeren Fälle suchen wir jetzt nach Bildmerkmalen, die das menschliche Auge nicht erfasst, die KI aber wohl.

Fazit: Radiologen werden von KI nicht ersetzt

Meine Prognose aus eigener Anschauung: Die Flut der medizinischen Bilder steigt. Wir Radiologen brauchen die Hilfe der KI, damit wir uns auf die komplexeren Aufgaben konzentrieren können. Wir Ärzte werden von KI nicht ersetzt. Unsere Arbeit wird durch sie spannender, weil wir Routine abgeben können. Old-School-Radiologen, die sich technisch nicht fit halten, werden allerdings demnächst abgehängt sein.