Assistierter Suizid: Keine Mehrheit für beide Gesetzentwürfe

Beide Gesetzentwürfe zum assistierten Suizid verfehlten die Mehrheit im Bundestag. Damit bleibe Zeit für die noch nicht ausreichende gesamtgesellschaftliche Debatte, so BÄK-Präsident Reinhardt.

Kein Gesetzentwurf zum Assistierten Suizid erhielt Mehrheit

Keiner der beiden in den vergangenen drei Jahren nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum strafgesetzlichen Verbot der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung vom 20. Februar 2020 entwickelten Gesetzentwürfe zum assistierten Suizid haben am Donnerstag eine Mehrheit im Bundestag gefunden. Der Entwurf der Parlamentarier-Gruppe um den Abgeordneten Lars Castellucci (SPD), der zuerst abgestimmt wurde, erhielt 304 Ja-Stimmen und 363 Nein-Stimmen bei 23 Enthaltungen. Für den Entwurf der Gruppe um die Abgeordneten Katrin Helling-Plahr (FDP) und Renate Künast (Bündnis 90/ Die Grünen) votierten 287 Parlamentarier, 375 dagegen, 20 enthielten sich.

Wirksames Schutzkonzept erfordert Sanktionen

Die beiden Entwürfe verfolgten stark unterschiedliche Ansätze: Das Castellucci-Konzept sah eine Kodifizierung im Strafrecht vor (Paragraf 217 StGB) und stellte die geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung grundsätzlich unter Strafe (bis zu drei Jahre Freiheitsentzug). Davon waren aber Ausnahmen vorgesehen: Der freie Wille und die Fähigkeit zu selbstbestimmtem Handeln sowie ein zweistufiges, mindestens drei Monate dauerndes Beratungs- und Untersuchungsverfahren durch dafür qualifizierte Ärztinnen und Ärzte. Der Helling-Pahr-Künast-Entwurf sollte den assistierten Suizid in einem eigenen Gesetz jenseits des Strafrechts kodifizieren und eine Beratung mit einer Zwei-Wochenfrist durch noch zu schaffende Beratungsstellen der Länder vorschreiben. 

Befürworter des Castellucci-Entwurfs argumentierten, ein wirksames Schutzkonzept erfordere Sanktion und daher eine Regelung im Strafrecht. Auch in anderen Ländern – etwa der Schweiz und den Niederlanden – würden die Grenzen der Suizidhilfe durch das jeweilige Strafrecht gesetzt. 

Kodifizierung im Strafrecht verfestigt Stigmatisierung

Eben diesen Ansatz kritisierten die Protagonisten des Helling-Plahr-Künast-Entwurfs: Er wirke eine Stigmatisierung des Suizids und beinhalte das Risiko für Ärztinnen und Ärzte, die Hilfestellung leisteten, in Strafverfolgungsermittlungen zu geraten – eine zwangsläufige Folge, wenn die Ausnahmetatbestände zur Rechtfertigung des assistierten Suizids geprüft werden. Möglicherweise werde eine solche Regelung erneut in Karlsruhe landen.   

Die Konsequenzen der Ablehnung beider Anträge sind sowohl für Menschen, die sich für einen Suizid entschieden haben als auch für Ärztinnen und Ärzte, die dabei Hilfe leisten wollen, problematisch: Grundsätzlich ist seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung nicht strafbar, weil der maßgebliche Paragraf 217 StGB nichtig und aufgehoben ist. Entstanden ist eine rechtliche Grauzone mit einem nicht unerheblichen Missbrauchspotential, wie in der Debatte deutlich wurde. Auch die Hürden zur Beschaffung von zur Selbsttötung geeigneten Arzneimitteln bleiben bestehen, weil nach wie vor die Anweisung der Minister Gröhe und Spahn (beide CDU) an das Bundesinstitut für Arzneimittel gilt, ein höchstrichterliches Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht anzuwenden. Danach sollte das BfArM auf Antrag Betroffener die Genehmigung zur Beschaffung geeigneter Arzneimittel erteilen. 

Bundesärztekammer: Vorrang für Prävention

Gleichwohl spricht die Bundesärztekammer in einer ersten Stellungnahme von einer "richtigen Weichenstellung" durch den Bundestag. Schon im Vorfeld hatten die Kammer sowie die Fachgesellschaften für Psychiatrie und Psychotherapie (DGPPN) und Palliativmedizin vor einer übereilten Entscheidung in der letzten Sitzung vor der parlamentarischen Sommerpause gewarnt. Mit dem Scheitern der Gesetzentwürfe sei Zeit für eine gesamtgesellschaftliche Debatte gewonnen. Priorität sei nun ein umfassendes Gesetz zur Prävention von Suiziden. Dafür seien mit dem angenommenen Entschließungsantrag des Bundestages die Weichen gestellt worden. Auf dieser Basis wolle sich die Bundesärztekammer konstruktiv an einer neuen Regelung für die Suizidassistenz beteiligen, so BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt.