Gesetzeskompromiss zum Recht auf selbstbestimmtes Sterben

Abgeordnete haben einen gemeinsamen Gesetzentwurf zum "Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben und zur Regelung der Hilfe zur Selbsttötung" vorgelegt – eine bahnbrechende Entwicklung.

Sicherer Rechtsrahmen für selbstbestimmten Suizid 

"Jeder, der aus autonom gebildetem, freien Willen sein Leben eigenhändig beenden möchte, hat das Recht, hierbei Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dieses Gesetz soll eine unwürdige, unzumutbare und nicht vom freien Willen getragene Umsetzung des Sterbewunsches verhindern sowie eine autonome und voll informierte Entscheidungsfindung suizidwilliger Personen sicherstellen. Es eröffnet suizidwilligen Personen einen sicheren Zugang zu Arznei- und Betäubungsmitteln zum Zwecke der Selbsttötung."

Mit dieser Formulierung in Paragraf 1 eines Gesetzentwurfs zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Töten wollen Abgeordnete der SPD, FDP, Linken und von Bündnis 90/Die Grünen einen sicheren Rechtsrahmen für den selbstbestimmten Suizid, dazu mögliche und notwendige Beratung sowie für die Assistenz beim Suizid schaffen. Nach der Aufhebung des strafrechtlichen Verbots der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung durch das Bundesverfassungsgericht vor gut drei Jahren war ein rechtsfreier Raum entstanden, der nun verfassungskonform ausgefüllt werden soll. Ferner würde das geplante Gesetz den rechtswidrigen, gegen höchstrichterliche Rechtsprechung verstoßenden Zustand beenden, wonach dem Bundesinstitut für Arzneimittel auf Anweisung der ehemaligen Gesundheitsminister Hermann Gröhe und Jens Spahn (beide CDU) untersagt wurde, den Bezug von Arzneimitteln zur Selbsttötung zu genehmigen. Der aus zwei voneinander abweichenden Entwürfen entwickelte Kompromiss soll als fraktionsübergreifender Antrag noch vor der Sommerpause im Bundestag eingebracht werden.

Recht, aber keine Pflicht zur Hilfeleistung beim Suizid

Paragraf 2 regelt das Recht zur Hilfeleistung beim Suizid: Danach darf jeder einem anderen, der aus freiem Willen sein Leben eigenhändig beenden möchte, auf dessen Wunsch Hilfe zur Selbsttötung leisten und ihn bis zum Tod begleiten. Niemand darf jedoch zur Hilfe gezwungen werden. Keiner Person darf aufgrund ihrer Berufszugehörigkeit untersagt werden, Hilfe zu Selbsttötung zu leisten. Beschäftigte dürfen nicht benachteiligt werden, weil sie solche Hilfe leisten, ihre Bereitschaft dazu bekunden, aber auch die Hilfeleistung verweigern. Diese Regelung würde vor allem Ärzte schützen, weil weder das Berufsrecht der Selbstverwaltung noch der Arbeitgeber Sanktionen für einen assistierten Suizid vorsehen dürfen. 

Die Ausübung des Rechts auf selbstbestimmte Selbsttötung ist allerdings an Voraussetzungen geknüpft:

Die Länder erhalten den Auftrag, ein ausreichendes Angebot an Beratungsstellen sicherzustellen. Aus diesem Grund muss der Bundesrat dem Gesetz zustimmen. Die Länder können diese Stellen selbst betreiben, aber auch freie Träger sowie Ärztinnen und Ärzte anerkennen.

Schaffung von Beratungsstellen: Aufgabe der Länder

Voraussetzung für die Anerkennung ist die Gewähr einer fachgerechten Beratung. Diese muss die Bedeutung und Tragweite der Selbsttötung, Handlungsalternativen in therapeutischer und palliativmedizinischer Hinsicht, mögliche Hilfe zur Selbsttötung, die Folgen fehlgeschlagener Selbsttötung, auch für das persönliche und familiäre Umfeld, sowie gegebenenfalls juristische Informationen umfassen. Dementsprechend dürfen nur persönlich und fachlich hinreichend qualifizierte Beratungsstellen anerkannt werden. Sie müssen überdies gewährleisten, dass kurzfristig ärztliche, fachärztliche, psychologische oder sozialarbeiterisch ausgebildete Fachkräfte hinzugezogen werden können. Die Beratungsstelle selbst darf keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.

Aufgrund der bescheinigten Beratung sind Ärztinnen oder Ärzte berechtigt, ein Arznei- oder Betäubungsmittel zum Suizid zu verschreiben. Dabei muss der Arzt die Person mündlich und umfassend über sämtliche medizinische Umstände der Selbsttötung, ihres voraussichtlichen Ablaufs und möglicher Risiken aufklären. Ferner muss auf therapeutische oder palliativmedizinische Optionen hingewiesen werden. Alternativ kann auch eine nach Landesrecht zuständige Stelle eine Erlaubnis zum Erwerb eines für die Selbsttötung geeigneten Arzneimittels erteilen.  Dies ist für den Fall vorgesehen, dass die betroffene Person keinen Arzt findet, der zur Ausstellung eines Rezepts bereit ist. 

Entschließungsantrag für eine Strategie zur Suizidprävention

Verbunden mit dem Gesetzentwurf ist ein Entschließungsantrag, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wird, bis zum 1. Januar 2024 eine Nationale Strategie zur Suizidprävention vorzulegen. Dazu müsse eine umfassende Informationskampagne, gezielte und aufsuchende Präventionsprojekte für besonders gefährdete Zielgruppen, der Ausbau der psychotherapeutischen Versorgung speziell zur Suizidprävention und die Sicherstellung der palliativmedizinischen Versorgung gehören.  Die Aufklärung müsse von dem Gedanken getragen sein, Suizidalität zu entstigmatisieren. "Moralische Verurteilung oder Ächtung von Suizidalität sind schwerwiegende Hemmnisse, die Betroffene vom Zugang zu Hilfsangeboten fernhalten und eine erfolgreiche Präventionsarbeit verhindern", heißt es in dem Antrag.