Digitalisierung: Schotterpiste – Pannen garantiert

Ein miserables Zeugnis hinsichtlich Fehleranfälligkeit und Service haben Mitglieder des Ärztenetzwerks Berlin ihrer Praxisverwaltungssoftware (PVS) ausgestellt. Das sind Ergebnisse einer Umfrage unter 385 Ärzten und Psychotherapeuten.

Ärzte klagen: Mangelhafter PVS-Service und unzureichende Schulungen

Fast drei Viertel der Ärzte und Psychotherapeuten im Ärztenetzwerk Berlin beobachten – teils häufig – Probleme beim Auslesen der eGK und bei der Nutzung von IT-Anwendungen wie KIM und eAU, fast zwei Drittel klagen über Probleme nach Software-Updates. Geklagt wird ferner über mangelhaften Service und unzureichende Schulung sowie die dafür entstehenden Kosten.

Das sind Ergebnisse einer Umfrage unter 385 Mitgliedern des Ärztenetzwerks Berlin zwischen dem 31. März und dem 3. Juli 2023 in Kooperation mit dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung. Sie wurden jetzt im Rahmen von „Zi insights“ vorgestellt. Das Durchschnittsalter der Umfrageteilnehmer lag bei 55 Jahren, im Schnitt waren die Ärzte und Psychotherapeuten 15 Jahre niedergelassen. 54 Prozent arbeiten in einer Einzelpraxis, der Rest in Praxisgemeinschaften und MVZ. 24 Prozent der Praxen sind voll digitalisiert, weitere 42 Prozent mehrheitlich digitalisiert; nur eine kleine Minderheit arbeitet noch überwiegend oder ganz in Papierform. Die am häufigsten verwendeten PVS sind Turbomed, Quincy WN und Albis mit jeweils knapp über zehn Prozent Marktanteil, gefolgt von Medistar, Elefant und medatixx mit acht bis neun Prozent. 

44 Prozent der Umfrageteilnehmer, so Tobias Nieporte vom Zentralinstitut, berichten über wöchentlich oder monatlich mehrfach auftretende nicht funktionierende Prozesse ihrer PVS. Nur knapp 17 Prozent haben nie oder sehr selten Probleme. Auffällig häufig funktionieren gerade die PVS der führenden Anbieter nicht. 

Häufige Probleme bei Standardanwendungen

Die häufigsten Probleme treten in Standardsituationen wie dem Auslesen der eGK sowie bei der Nutzung von KIM und eAU auf. 62 Prozent der Umfrageteilnehmer berichten über Ausfälle nach einem Software-Update. Am ehesten reibungslos funktionieren die Erstellung der Quartalsabrechnung und die Kodierung von Diagnosen.

Vor dem Hintergrund der Anfälligkeit der verschiedenen Software-Systeme ist das Ausmaß an Zufriedenheit bescheiden. Besonders schlecht fällt die Bewertung von Schulungen und von Einweisungen in neue Tools aus – hier ist lediglich rund ein Fünftel zufrieden. Ein höherer Grad an Zufriedenheit – etwa 40 Prozent – wurde bei der Geschwindigkeit der Fehlerbehebung, der Unterstützung bei Updates sowie der Qualität der Updates festgestellt. Vor dem Hintergrund der häufig auftretenden Fehler und der Klagen über mangelnde Servicequalität fällt auch das Urteil über das Preis-Leistungsverhältnis vernichtend aus. Nur elf Prozent sind mit den Kosten im Allgemeinen, 17 Prozent mit den Kosten für den Support (eher) zufrieden. 

Doch das hohe Ausmaß an Unzufriedenheit führt nur zu einem seht bedachtsamen Wechsel des PVS-Anbieters: Nur gut acht Prozent haben davon Gebrauch gemacht, 34 Prozent halten das für vorstellbar. Die Gründe dafür sind wohl ein ausgeprägtes Misstrauen gegen die Branche insgesamt: 90 Prozent der Befragten befürchten einen unangemessen hohen Wechselaufwand, 85 Prozent hohen Umschulungsbedarf und sogar 90 Prozent hohe Kosten. 74 Prozent befürchten einen Datenverlust. Diese schlechten Erwartungen werden von denjenigen, die einen Wechsel vollzogen haben, allerdings nicht in dieser Härte bestätigt. Denn gut drei Viertel berichten von signifikanten Verbesserungen und Angemessenheit der Umschulung. Das Urteil über die Angemessenheit des Aufwandes und das Risiko eines Datenverlusts halten sich mit 50/50 die Waage.

Durchweg keine Arbeitserleichterung

Erleichtert die Digitalisierung der Praxen dann wenigstens die Arbeit? Steht dem Ärger über Mängel und Kosten wenigstens ein Nutzen gegenüber? – Eher nicht!

Am besten schneidet noch der elektronische Medikationsplan ab, der nach Ansicht von 46 Prozent der Umfrageteilnehmer die Arbeit erleichtert. In der eAU und beim Notfalldatenmanagement sehen nur zehn beziehungsweise vier Prozent eine Erleichterung. Insgesamt berichten 63 Prozent der Ärzte über eine Arbeitserschwernis bei den von ihnen verwendeten IT-Anwendungen. 

Die erheblichen Qualitätsunterschiede der verschiedenen PVS-Systeme wurden in der sich anschließenden Diskussion von Dr. Markus Wiesenberg von der gematik bestätigt.  Etablierte ältere Systeme, die primär zur digitalen Honorarabrechnung entwickelt worden sind, hätten häufig nicht den Switch auf neue, primär medizinisch ausgerichtete Anwendungen geschafft. Das sei bei grundlegenden Neuentwicklungen der Software besser gelungen. 

Um die Qualität zu verbessern, darauf wies KBV-Vorstandsmitglied Dr. Sibylle Steiner hin, sei es möglich, Rahmenvereinbarungen nach Paragraf 332b SGB V abzuschließen, die auch eine Definition für ein gutes PVS enthalten. Ein Entwurf dafür liege bereits vor. Allerdings ist der Abschluss einer solchen Vereinbarung für die Software-Anbieter freiwillig.

Generell wurde der Wunsch nach mehr anbieterbezogener Qualitätstransparenz geäußert. Es gebe zwar einen TI-Score, so Steiner und Wiesenberg, der aber basiere auf Herstellerangaben. Da sich öffentlich-rechtliche Institutionen offenbar sehr schwer damit tun, Transparenz und Öffentlichkeit herzustellen, sei die Initiative wie die des Berliner Ärztenetzwerks von großer Bedeutung, so Dr. Klaus-Peter Spies von der Ärztekammer Berlin. Das sollte unbedingt ausgebaut werden.

Zum Weiterlesen: Ein Kommentar unseres Autors Helmut Laschet über die Digitalisierung in Arztpraxen – und warum sie ein Desaster ist.