Dr. David Gorski und der Widerstand gegen die Anti-Wissenschaft

Dr. Gorski ist ein Verfechter der evidenzbasierten Medizin und ein entschiedener Kritiker der Anti-Impf-Bewegung, der sich online leidenschaftlich gegen Desinformation einsetzt.

Die esanum Global Series

... ist eine Sammlung von Artikeln, die esanums deutsch-, italienisch-, englisch- und französischsprachige Redaktion zusammenbringt, um eine globale Perspektive auf die aktuellen Themen und Geschichten zu bieten, die das Leben von Ärzt:innen beeinflussen. In unserer ersten Serie "Ärzte und Ärztinnen in den Sozialen Medien, die digitale Frontlinie" interviewen wir Ärzte, deren tägliche Arbeit, Aktivismus oder Social-Media-Präsenz eine ganze Reihe von Reaktionen innerhalb ihrer eigenen Berufsgruppen, auf Medienplattformen und darüber hinaus ausgelöst haben. Solidarität, Belästigung, Ruhm und Drohungen sowie die menschlichen Geschichten hinter den Kontroversen stehen im Mittelpunkt dieser Interviewreihe.

Die Interviewserie ist eine Kollaboration der Redaktionsteams von esanum.deesanum.fresanum.it und esanum.com. Die jeweiligen Artikel bilden die Perspektive unserer Interviewpartnerinnen und -partner ab und stellen nicht notwendig die Meinung der Redaktion dar. Durch Übersetzungsprozesse kann es zu Einbußen im sprachlichen Ausdruck kommen, die im jeweiligen Original nicht vorhanden sind.

In Amerika wehren sich die Ärzte gegen den Angriff auf die Vernunft

Übersetzt aus dem Englischen

Vom Blog zu den Tweets, die Gegenreaktion folgt

David Gorski ist Professor für chirurgische Onkologie an der Wayne State University (Detroit, Michigan) und hat sich auf Brustkrebs spezialisiert. Zu seinen Forschungsinteressen gehört die Rolle von Glutamatrezeptoren bei Wachstum und Metastasierung von Brustkrebs. Er interessiert sich auch für die Probleme der Überdiagnose und Überbehandlung von Brustkrebs. Einige seiner Arbeiten wurden in renommierten Fachzeitschriften wie Nature, Cancer Research, Blood oder Nature Reviews Cancer veröffentlicht. Im Jahr 2007 wurde er von der American Society of Clinical Oncology für seine klinische Forschung ausgezeichnet. Dr. Gorski ist ein starker Verfechter der evidenzbasierten Medizin und bekannt für seine Kritik an der Alternativmedizin und ihren Befürwortern. Er ist ein entschiedener Gegner der Anti-Impf-Bewegung.

Seit den späten 1990er Jahren engagiert er sich in Internet-Diskussionsforen. Zunächst konzentrierte sich sein digitales Engagement auf die Verurteilung von Holocaust-Leugnungsäußerungen, aber Dr. Gorski wurde schnell auf die Verbreitung von gefälschten medizinischen Informationen im Internet aufmerksam. Unter dem Spitznamen "Orac" prangert er seit 2004 in seinem Blog Respectful Insolence (Respektvolle Unverschämtheit) unwissenschaftliche Unwahrheiten an.1 Im Jahr 2008 war er unter seinem richtigen Namen an der Gründung der Website Science-Based Medicine2 beteiligt, deren Chefredakteur er heute ist.

Wegen seines Eintretens für Wissenschaft, Fakten und Beweise wird er regelmäßig von einem Spektrum angegriffen, das Antivaxxer, "Quacksalber", Neonazis und andere umfasst. Zu den Verleumdungen gegen ihn gehören Artikel mit dem Vorwurf der Pädophilie, rechtliche Drohungen, Desinformation über Interessenkonflikte oder Versuche, seine Entlassung aus verschiedenen Arbeitsverhältnissen zu erreichen. Die Angriffe gegen Dr. Gorski verdoppelten sich 2016, als er den Film Vaxxed kritisierte. Der Regisseur des Films, Andrew Wakefield, ist ein ehemaliger britischer Chirurg und Forscher und Autor einer betrügerischen Studie, die 1998 in The Lancet veröffentlicht wurde und einen kausalen Zusammenhang zwischen der Masern-Mumps-Röteln-Impfung und der von Wakefield so genannten "autistischen Enterokolitis" herstellte. Die Studie wurde zurückgezogen und Wakefield wurde mit einem Berufsverbot belegt.

Dr. Gorski im Interview

Sie sind viel auf Twitter unterwegs. Wann haben Sie damit angefangen und was hat Sie dazu bewogen, es überhaupt zu benutzen?

Ich glaube, ich habe vor sieben oder acht Jahren damit angefangen. Ich weiß es nicht mehr genau. Es hat sich irgendwie bei mir eingeschlichen, als ich anfing, mich damit vertraut zu machen.

Diente Twitter anfangs der Freizeitgestaltung, dem Austausch von medizinischem Wissen oder dem Kampf gegen Impfgegner?

Alles davon und als eine Art Erweiterung des Blogs, so wie viele Leute mit Twitter angefangen haben. Inzwischen gibt es Tage, an denen ich Twitter kaum benutze und andere, an denen ich vielleicht fünfzig Tweets oder mehr schreibe. Im Durchschnitt sind es etwa zwanzig Tweets pro Tag.

Und haben Sie viele "Hater" auf Twitter?

Ja, aber das Gute an den Qualitätsfiltern von Twitter ist, dass man, wenn man sie weit genug aufdreht, viele der Hater kaum zu Gesicht bekommt, weil man einfach keine Benachrichtigungen für viele ihrer Tags oder Antworten erhält. Viele von ihnen neigen dazu keine Telefonnummer, kein vollständiges Profil und kein Foto anzugeben, so dass das so genannte "Ei-Profilbild" übrig bleibt, das frühere Standardbild von Twitter. Ich habe viele Hater, aber ich sehe nicht viele von ihnen wenn ich es nicht will.

Wissen Sie, wie viele Leute Sie auf Twitter blockiert haben?

Ich bin mir sicher, dass es über tausend sind, aber bedenken Sie, dass dies eine Gesamtzahl über alle Jahre ist, also ist die Zahl pro Jahr wahrscheinlich nicht so hoch. In letzter Zeit blockiere ich mehr, da ich weniger Toleranz für Trolle habe als früher. Ich habe auch mehr Follower als früher und proportional gesehen ist der Anteil der Trolle an der Gesamtzahl der Follower vielleicht derselbe, aber ich habe heutzutage eine kürzere Zündschnur, wenn es darum geht zu blockieren.

Versuchen Sie manchmal, mit den "Trollen" zu diskutieren oder sich mit ihnen auseinanderzusetzen?

Gelegentlich. Das hängt von meiner Stimmung ab und davon, wie trollig sie sind. Es gibt Trolle, bei denen ich schon nach einem einzigen Tweet weiß, dass es sich nicht lohnt, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und die ich einfach blockiere, und dann gibt es andere, auf die ich vielleicht reagiere. Aber wenn ich meine ganze Zeit damit verbringe, auf Trolle zu antworten, dann würde ich nie etwas Originelles posten.

Belästigung, Verleumdung und Einschüchterung: Die Anti-Wissenschafts-Strategie

Gab es auf Twitter koordinierte Kampagnen gegen Sie?

Auf jeden Fall. Das war schon so bevor ich viel auf Twitter unterwegs war. Es gab koordinierte Kampagnen gegen mich, allein wegen meiner Blogarbeit. Zum Beispiel schon 2010, als ich Twitter noch kaum nutzte.  Eine Gruppe von Impfgegnern versuchte, mich von meiner Universität feuern zu lassen. Sie schickten E-Mails und riefen den Verwaltungsrat an, weil sie glaubten, einen nicht existierenden Interessenkonflikt gegen mich gefunden zu haben.

Wie haben Sie darauf reagiert?

Ich war nicht glücklich mit der Situation, aber glücklicherweise standen der Dekan und mein Lehrstuhl hinter mir.  Damals war ich etwas konsterniert, weil es das erste Mal war, dass sie direkt hinter meinem Job her waren. Davor hatte ich ähnliche Vorfälle, bei denen ein unbekannter Impfgegner eine E-Mail an das Büro meines Chefs geschickt oder dort angerufen hat.

Hatten Sie damals die Möglichkeit, eine Beschwerde einzureichen?

Was wollen Sie dagegen tun? Das ist eine Frage des ersten Verfassungszusatzes und der Meinungsfreiheit. Sie [die Belästiger] sehen es nicht als Belästigung an und ich kann wirklich nichts dagegen tun. Es hätte keinen Sinn, eine Beschwerde einzureichen, es sei denn, es gäbe Gewaltandrohungen.

Haben solche Situationen Sie emotional belastet?

Damals war ich sozusagen leichter aus der Fassung zu bringen. Seitdem es immer wieder passiert, habe ich eine viel dickere Haut.

Würden Sie sagen, dass diese Angriffe und Kampagnen vor allem von Impfgegnern ausgehen, oder haben Sie auch andere Feinde?

Der allererste, der sich bei mir oder meinem Chef beschwerte, war ein Krebs-Quacksalber3 namens William P. O'Neill um 2005 herum. Er schickte E-Mails mit rechtlichen Drohungen an meine Abteilung, den Abteilungsleiter und den Direktor des Cancer Institute of New Jersey, wo ich damals arbeitete. Er war der Leiter einer so genannten Canadian Cancer Research Group. Dieser erste Vorfall ereignete sich nur wenige Monate nachdem ich meinen ersten Blog gestartet hatte.

Warum hat er Sie angegriffen?

Es war ziemlich lustig! Ich habe nicht einmal über ihn geschrieben. Ich habe nur jemanden zitiert, der über ihn geschrieben hatte und das war nur ein kurzer Hinweis.

Die Risiken der Eskalation

Machen Sie sich Sorgen über die Möglichkeit eines physischen Angriffs?

Drohungen in dieser Richtung sind nicht häufig, aber sie sind auch nicht inexistent. Ich stehe nicht so weit oben in der "Nahrungskette", deshalb mache ich mir darüber keine großen Sorgen. Es ist nicht so wie zum Beispiel bei Peter Hotez, einem Kinderarzt, Impfstoffforscher und Dekan der National School of Tropical Medicine am Baylor College of Medicine. Er hat sich sehr gegen die Anti-Impf-Bewegung und die COVID-Leugner ausgesprochen. Er musste viele Angriffe von Impfgegnern, Maskenverweigerern und aus dem gesamten rechten Verschwörungsmilieu über sich ergehen lassen. Kürzlich gab es auf Fox News koordinierte Kampagnen gegen ihn. Angriffe von Randgruppen und Quacksalbern sind eine Sache, aber wenn jemand wie Tucker Carlson auf Fox News auf einen losgeht, ist das eine ganz andere Ebene.

Mussten Sie jemals Vorsichtsmaßnahmen für sich oder Ihre Familie ergreifen?

Einmal, vor zweieinhalb Jahren, war ich auf einer Konferenz in San Diego auf einem Podium zum Thema Impfverweigerung und Anti-Impf-Bewegung. Auf dem Podium saß auch Richard Pan, ein kalifornischer Staatssenator und Kinderarzt. Er ist ein großer Befürworter von Impfungen und einer der beiden Senatoren, die 2015 die Senate Bill No. 277 (SB-277) einbrachten, ein Gesetz, das Ausnahmen von der Impfpflicht für Schulen und Kindertagesstätten in Kalifornien abschafft. Vor diesem Gesetz konnten Sie sich weigern, Ihr Kind aufgrund persönlicher Überzeugungen oder der Religion impfen zu lassen. Mit diesem Gesetz wurde dies abgeschafft und nur noch medizinische Ausnahmen zugelassen. Wir waren etwas besorgt, dass wir zu einer Art Zielscheibe werden könnten. Auf der Konferenz gab es einige Sicherheitsvorkehrungen, um alle, die nicht als Teilnehmer registriert waren, fernzuhalten. Was tatsächliche Angriffe angeht, so hat ein Impfgegner einmal versucht Senator Pan körperlich anzugreifen.

Haben sich diese Situationen auf Ihr berufliches, soziales oder sogar privates Leben ausgewirkt?

Auf mein Berufsleben vielleicht. Wenn Sie mir diese Frage vor fünf Jahren gestellt hätten, hätte ich geantwortet mit Sicherheit. Der Grund dafür ist, dass es vor fünf Jahren so viele Fehlinformationen und Lügen über mich in den sozialen Medien, auf Websites und in Blogs gab. Wenn Sie 2016 meinen Namen gegoogelt hätten, hätten Sie eine Menge schrecklicher Dinge über mich gefunden. Ich habe damals gescherzt, dass ich, wenn ich jemals meinen Job verlieren und einen neuen finden würde, in großen Schwierigkeiten stecken würde, denn wenn ein Unternehmen heutzutage jemanden einstellen will, googeln sie deinen Namen, besonders im akademischen Bereich. Wir könnten versuchen zu beurteilen, ob die Verleumdungskampagnen erfolgreich waren oder nicht, aber Google ist zunehmend gegen viele Websites vorgegangen, die Verschwörungstheorien und Fehlinformationen verbreiten. Viele der hasserfüllten Artikel über mich existieren zwar immer noch, tauchen aber nicht mehr auf den ersten Seiten der Google-Suche auf.

Wären Plattformen wie Twitter trotz alledem immer noch eine Möglichkeit, Menschen über medizinische Themen aufzuklären?

Ich denke, dass es manchmal funktioniert. Ich tue es heutzutage eher, weil es mir Spaß macht. Es gibt Zeiten, in denen ich kurz davor bin, einfach wegzugehen, vielleicht nicht meinen Twitter-Account zu löschen, wie es einige Leute getan haben, sondern einfach aufzuhören. Aber irgendwie komme ich immer wieder zurück und ich frage mich, ob es etwas mit dem zu tun hat, was die Leute sagen, dass soziale Medien ein bisschen wie eine Sucht sind.

Jeder Kontext ist für medizinisches Online-Engagement anders

Würden Sie Ihren europäischen Kollegen aufgrund dieser Erfahrungen einen Ratschlag geben, insbesondere da immer mehr Ärzte Twitter nutzen oder medizinische Blogs betreiben?

Man sollte bedenken, dass ich zahlreiche rechtliche Drohungen erhalten habe. Ich wurde aufgefordert, einen Artikel zu löschen und einmal wurde ich sogar wegen Verleumdung verklagt. Man kann über die USA und einige der Nachteile dieses Kontextes sagen was man will, aber der erste Verfassungszusatz macht es wirklich sehr schwierig für jemanden, mich erfolgreich wegen Verleumdung zu verklagen, insbesondere wenn die Person, über die ich geschrieben habe, eine öffentliche Person ist. Wenn diese Gruppen damit drohen, mich zu verklagen, versuchen sie, mich einzuschüchtern. Oder wenn sie klagen, versuchen sie mich Geld zu kosten. Die Klage wird irgendwann abgewiesen, aber am Ende muss man Geld für Anwälte ausgeben bevor das passiert.

Das Problem in Europa ist, dass es nicht den gleichen Schutz vor Verleumdung gibt, den mir der erste Zusatzartikel hier in den USA bietet. Ich erinnere mich, dass David Irving, ein Holocaust-Leugner, vor über zwanzig Jahren eine Verleumdungsklage gegen Deborah Lipstadt angestrengt hat. Lipstadt hatte in einem ihrer Bücher geschrieben, dass Irving ein Holocaust-Leugner sei und dies mit ausführlichen Beweisen belegt. Er verklagte sie jedoch im Vereinigten Königreich, wo die Beweislast grundsätzlich nicht bei der Person liegt die klagt, um zu beweisen, dass das Geschriebene falsch war, sondern eher bei der Person, die verklagt wird, um zu bestätigen, dass das Geschriebene wahr war.  Auf jeden Fall sind die meisten europäischen Verleumdungsgesetze sehr viel weniger freundlich zu den Beklagten als die US-amerikanischen Verleumdungsgesetze. Wenn ich im Vereinigten Königreich oder in Europa leben würde, weiß ich nicht, ob ich das tun könnte was ich tue. Vielleicht würde ich es aufgeben, weil das rechtliche Risiko zu hoch wäre.

Wenn Sie in Europa leben, müssen Sie im Vergleich zu mir vorsichtig sein, was Sie sagen. Ein Rechtsstreit ist eine große Sache. Wäre ich in meinen Zwanzigern, in der Ausbildung oder beim Berufseinstieg mit Anfang dreißig, wäre ein Rechtsstreit im Vergleich zu heute möglicherweise verheerend gewesen. Das ist es, was ich meinen europäischen Kollegen sagen würde. Denjenigen in den USA würde ich raten, sich der Gefahr von Belästigungen und gelegentlichen juristischen Drohungen bewusst zu sein, die mit ziemlicher Sicherheit ins Leere laufen. Allerdings gibt es auch in Europa Situationen wie den Fall von Dr. Raoult in Frankreich4, wo Leute, die ihn kritisierten, sehr schikaniert wurden. Alles in allem würde ich sagen, wenn Sie wissenschaftlich und faktisch richtig liegen und mit Leidenschaft bei der Sache sind, sollten Sie es tun.

In anderen Fällen geht es vielleicht nicht einmal um die Verleumdungsgesetze. Ich habe einmal5 über den Fall geschrieben, in dem französische Ärzte einen offenen Brief geschrieben haben, in dem sie die Homöopathie unter einer Gruppe namens FakeMed kritisierten. Es war nicht eine Verleumdungsklage, die ihnen Probleme bereitete. Ärzte, die die Homöopathie anwenden, beschwerten sich bei der Ärztekammer wegen eines angeblich "unprofessionellen Verhaltens", da man seine ärztlichen Kollegen nicht kritisieren darf. Allerdings ist es sowohl in Frankreich als auch in den USA sehr schwer, seine ärztliche Zulassung zu verlieren. Hier in den USA müsste ein Arzt ein Problem mit Drogenmissbrauch haben, einen Patienten sexuell missbraucht haben oder eine lange Vorgeschichte haben, in der er Patienten durch mangelhafte Pflege Schaden zugefügt hat. Leider zögern die staatlichen Ärztekammern, einen Pflegestandard durchzusetzen und die Pflege muss wirklich schlecht sein, bevor sie tätig werden. Dies wären einige ungeheuerliche Fälle, die zum Entzug der Zulassung führen können.

Die Macht der Worte

Es gibt auch Situationen, in denen einige Ärzte aufgrund ihrer Sprache oder ihres Stils auf Plattformen wie Twitter Kontroversen auslösen. Manche Ärzte beleidigen oder verwenden eine aggressive Sprache in ihren Antworten auf Angreifer oder Trolle.

Ich denke, dass ein falscher Sprachgebrauch auf diesen Plattformen den Trollen Auftrieb gibt und Menschen, die Ihre Verbündeten sein könnten, abschreckt. Der Stil des Ausdrucks ist wichtig. Manchmal kommuniziere ich so wie ich spreche und manchmal nicht. Auf Twitter bin ich ziemlich informell, aber ich versuche nichts zu sagen was mir peinlich wäre, wenn mein Chef oder einer meiner Chefs es lesen würde. Und dann gibt es noch das Problem der Bedrohung von Nutzern auf diesen Plattformen. Das ist einer der Gründe, warum ich Dr. Raoult verfolgte, weil ich beobachtete, wie er ständig Leute auf Twitter bedrohte.

Was von den Beleidigungen und Drohungen, die Sie erhalten haben, berührt Sie am meisten? Sind es die Angriffe auf Sie, Ihre Familie, Ihre Religion?

Wenn man das tut, was ich auf Twitter tue, sollte man wahrscheinlich ein dickes Fell haben. Aber wenn es jemand ist, den ich nicht kenne, dem ich nicht folge oder der einfach nur ein anonymer Account ist, dann ist mir das egal. Es könnte ein Bot sein, soweit ich weiß. Ich glaube nicht, dass es klug wäre öffentlich zu sagen, welche Dinge mir unter die Haut gehen oder mich wirklich stören oder wütend machen könnten.

Die (potenziellen) Stürme vor uns

Glauben Sie, dass die Anti-Impf-Bewegung immer gewalttätiger werden könnte, oder wird sie sich irgendwann beruhigen?

Es ist erstaunlich, dass die Anti-Impf-Bewegung seit mindestens sechs Jahren keine oder nur sehr wenig Gewalttätigkeit gezeigt hat. Die zunehmende Annäherung zwischen den Impfgegnern und einigen rechtsextremen Gruppen macht mir jedoch Sorgen. Ich hatte eine Reihe von Beiträgen im Blog Respectful Insolence über die gewalttätige Rhetorik der Anti-Impf-Bewegung mit Beispielen. Ich frage mich, ob eines Tages jemand aus dieser Bewegung oder einer Gruppe gewalttätig werden wird.

Einige Vorfälle haben bereits stattgefunden. Einer ihrer Anhänger hat Richard Pan geschubst, wobei es zum Glück nur zu einem leichten körperlichen Angriff kam. Eine Frau hat in Kalifornien Abgeordnete mit Menstruationsblut beworfen, als sie das Gesetz SB-277 verabschiedeten. Aber bis heute hat es keine tödliche Gewalt gegeben. Wenn man sich jedoch die Rhetorik anschaut, wurde sie in den sechs Jahren vor der Pandemie immer gewalttätiger.

Da gibt es den Fall von Del Bigtree6, der in den USA zu einem ziemlich berühmten Impfgegner wurde. Es gab einen Fall, in dem er öffentlich dazu aufrief, die "Second Amendment People" (Leute des zweiten Zusatzartikels) zu fragen: "Worauf wartet ihr noch?", wobei er andeutete, dass es an der Zeit sein könnte, ihre Waffen zu benutzen. In einer anderen Episode nahm er an einer Benefizveranstaltung einer lokalen Anti-Impfgruppe in Michigan teil, wo er davon sprach, dass sie "für die Freiheit sterben" müssten, allerdings im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen Impfvorschriften.

Und Sie haben auch historische Anspielungen wie die Verwendung des Davidsterns in den USA?

Das erste Mal habe ich das von einem amerikanischen Impfgegner vor etwa sechs Jahren im Zusammenhang mit der SB-277-Gesetzgebung gesehen und dann ist es abgeflaut. Das ist keine neue Sache. Dann nahm diese Praxis während der Einführung des COVID-19-Impfstoffs wieder Fahrt auf.

Tauschen Sie sich manchmal online mit Ärzten aus, die z. B. in Bezug auf Impfstoffe ganz andere Vorstellungen haben?

Ja, das tue ich manchmal. Kürzlich hatte ich einen Austausch mit einem so genannten pflanzenbasierten Kardiologen namens Dr. Joel Kahn, der etwas berühmt ist und den Spitznamen "Amerikas ganzheitlicher Herzdoktor" trägt. Jemand wies mich darauf hin, dass er Verschwörungstheorien und Anti-Impf-Fehlinformationen über COVID-Impfstoffe verbreitet hatte. Also schrieb ich ein paar Beiträge und tweetete darüber. Er versuchte sich einzumischen, zu argumentieren und Bedenken zu äußern. Ich erläuterte meine Argumente und meine früheren Analysen zu den von ihm angeführten Punkten und schickte ihm Unterlagen und Ressourcen. Aber stattdessen bekam ich Ausreden, die von mir zur Verfügung gestellten Materialien und Studien nicht zu lesen. Dann meldete sich in den letzten Tagen ein anderer Arzt für ganzheitliche Ernährung zu Wort und forderte mich auf, in seinen Podcast zu kommen und mit Dr. Kahn zu diskutieren. Also ja, das passiert von Zeit zu Zeit.

Die esanum Global Series ist eine gemeinsame redaktionelle Arbeit der Teams von esanum.de, esanum.fr, esanum.it und esanum.com.


Anmerkungen

  1. Orac's Blog Mission und Willkommenserklärung vom Oktober 2017 lautet: "Hier setze ich mein kleines Hobby fort, Behauptungen in der medizinischen Wissenschaft kritisch zu untersuchen, wissenschaftliche Studien in den Nachrichten zu analysieren (oder solche, die mich einfach nur interessieren), pseudowissenschaftliche Behauptungen von Quacksalbern, Spinnern und Impfgegnern zu widerlegen und werde dies hoffentlich noch weitere 13 Jahre lang tun. Lesen Sie, erforschen Sie und (ich hoffe) lernen Sie etwas und genießen Sie es."
  2. Auf der Website heißt es: "Science-Based Medicine ist ein Blog, der sich der Förderung der höchsten Standards und Traditionen der Wissenschaft in der Medizin und Gesundheitsfürsorge widmet. Die Aufgabe dieses Blogs besteht darin, medizinische und gesundheitliche Themen, die für die Öffentlichkeit von Interesse sind, wissenschaftlich zu untersuchen. Dazu gehören die Überprüfung neu veröffentlichter Studien, die Untersuchung zweifelhafter Produkte und Behauptungen, die Bereitstellung des dringend benötigten wissenschaftlichen Gleichgewichts zur oft unglaubwürdigen Gesundheitsberichterstattung und die Untersuchung von Fragen im Zusammenhang mit der Regulierung der wissenschaftlichen Qualität in der Medizin. Die SBM-Website wird von der New England Skeptical Society betrieben, einer gemeinnützigen Organisation, die sich der Förderung der Wissenschaft und des kritischen Denkens verschrieben hat und ausschließlich durch Einzelspenden finanziert wird.
  3. Im Zusammenhang mit Gesundheit und Medizin ist Quacksalberei die Verbreitung falscher, unbestätigter oder zweifelhafter Produkte für die Behandlung von Krankheiten, meist mit dem Ziel des Gewinns für den Anbieter.
  4. Während der COVID-19 Pandemie löste der französische Mikrobiologe Didier Raoult eine kontroverse Debatte aus, indem er Hydroxychloroquin als Behandlung befürwortete, obwohl die weltweite Forschung zu dieser Komponente ihre Wirksamkeit gegen das neuartige Coronavirus stark in Frage stellte.
  5. Die Homöopathie-Awareness-Woche zeigt, dass Homöopathie immer noch ein Problem ist (Science-Based Medicine - 16. April 2018).
  6. Del Bigtree ist eine amerikanische Fernseh- und Filmproduzentin, die mit Andrew Wakefield an dem Film Vaxxed gearbeitet hat.