5. Interdisziplinärer Summit: Therapievielfalt oder Therapie-Dschungel? – Teil 1

Am 02. und 03. Dezember 2022 fand in Berlin der 5. Interdisziplinäre Summit für Rheumatologie, Gastroenterologie und Dermatologie statt. Unter dem Motto „Therapievielfalt oder Therapie-Dschungel?“ diskutierten 20 hochkarätige Referent*innen aktuelle Fragen rund um chronisch-entzündliche Erkrankungen. Ein Highlight des ersten Tages war die Podiumsdiskussion unter dem Motto „Patientenversorgung im Spannungsfeld – Risikoabwägung, Individualität und Rahmenbedingungen“.

Am 02. und 03. Dezember 2022 fand in Berlin der 5. Interdisziplinäre Summit für Rheumatologie, Gastroenterologie und Dermatologie statt. Unter dem Motto „Therapievielfalt oder Therapie-Dschungel?“ diskutierten 20 hochkarätige Referent*innen in einer hybriden Veranstaltung gegenwärtige Fragen rund um chronisch-entzündliche Erkrankungen. Unter der Leitung von Prof. Dr. Hubertus Nietsch, Halle (Saale), waren die Themen und Referent*innen breit gefächert und reichten auch über die Fachgrenzen hinaus.

Podiumsdiskussion: Patientenversorgung im Spannungsfeld

Ein Highlight des Interdisziplinären Summits war die von Prof. Nietsch moderierte Podiumsdiskussion zu dem Thema „Patientenversorgung im Spannungsfeld – Risikoabwägung, Individualität und Rahmenbedingungen“. Drei Experten aus Rheumatologie, Gastroenterologie und Dermatologie diskutierten, wie eine optimale, individuelle und ganzheitliche Versorgung von Patient*innen mit chronisch-entzündlichen Erkrankungen unter gegenwärtigen Rahmenbedingungen zu realisieren ist.

Dabei legten die Experten zu Beginn der Diskussion ihr Augenmerk auf die Bedeutung der Patient-Reported-Outcomes (PROs) im medizinischen Alltag: Dr. Peer Malte Aries, niedergelassener Rheumatologe in Hamburg, zeigte sich erfreut, dass PROs heute weiter im Vordergrund stünden als noch vor einigen Jahren. In der Vergangenheit habe man vor allem die Aspekte in der Behandlung nach vorne gestellt, die für den Behandelnden sichtbar und messbar seien, wie etwa den CRP-Wert (C-reaktives Protein).

PROs seien dabei mehr als nur die Anamnese der Patient*innen, ergänzte Dr. Ralph von Kiedrowski, niedergelassener Dermatologe in Selters. Vor allem sei es auch eine Gewichtung der Beschwerden. Diese Gewichtung müsse im Sinne einer partizipativen Entscheidungsfindung (Shared decision-making) Berücksichtigung finden. „Das, was wir erreichen können, muss immer auch im Sinne der Patient*innen sein, weil wir so letztlich das Gesamtziel erreichen können.“, so der Dermatologe.

Deshalb sei es unbedingt notwendig die Behandlungsziele im Vorhinein mit den Patient*innen abzugleichen, bestätigte Prof. Dr. Oliver Bachmann, Gastroenterologe in Pforzheim. Nur etwa 20 – 30 % seiner Patient*innen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) erreichten nach seinen Schätzungen eine Komplettremission. Daher stünden andere Behandlungsziele im Vordergrund.

In der Behandlungsstrategie chronisch-entzündlicher Hauterkrankungen zeichne sich derweil ein Paradigmenwechsel ab, wagte Dr. von Kiedrowski einen kleinen Ausblick. Habe man sich früher noch an die richtige Therapie herangetastet, verfolge man heute mehr und mehr einen „Hit hard and early“-Ansatz auch in der Dermatologie, da heute zunehmend auch die Therapie der Begleiterkrankungen in den Fokus rücke. Man setze daher Medikamente mit höchster Potenz ein, um damit die Inflammation im Gesamtorganismus zu bekämpfen. Allerdings stünden dem in der Praxis zum Teil noch Regularien und der Kostendruck bei der Verordnung im Wege. Die Anforderungen der Kostenträger seien jedoch nach Ansicht von Dr. von Kiedrowski zu kurzsichtig: Gesamtwirtschaftliche Kosten, die durch Folgeerkrankungen, Multimorbidität und Arbeitsunfähigkeit entstünden, würden seiner Meinung nach nicht berücksichtigt.

Gerade im Bereich der Gastroenterologie wächst die Zahl der neuen Therapieoptionen besonders rasant. Prof. Bachmann sieht aber in der schnell wachsenden Zahl neuer Behandlungsansätze noch lange keinen undurchdringlichen Therapiedschungel: „Wenn es um neue Mechanismen geht, habe ich immer die Hoffnung, dass sich daraus ein Vorteil ergibt.“ Dr. von Kiedrowski ergänzte, dass es zwar nicht um Innovation um jeden Preis gehe, allerdings komme es auch bei modernen Therapien immer wieder zu Wirkverlusten. Zudem gebe es Patient*innen, die auf derzeit verfügbare Medikamente nicht ansprächen oder mit derzeitigen Applikationsformen nicht zurechtkämen. Solange diese Lücken bestünden, machten neue Präparate immer Sinn.

Dr. Aries machte in diesem Zusammenhang auf vielversprechende klinische Studien aufmerksam: Er hob dabei zum einen eine C5-Komplement-Inhibitor-Therapie der ANCA-assoziierten Vaskulitis hervor, mit der sich in einer klinischen Studie Kortison nahezu komplett einsparen ließ.1 Zum anderen verwies er auf den erstmaligen erfolgreichen Einsatz einer CAR-T-Zelltherapie bei einer kleinen Patient*innengruppe mit systemischem Lupus erythematodes.2 Beide Ansätze seien zwar mit hohen Therapiekosten verbunden, für ihn sei der Preis jedoch nicht entscheidend, sondern nur das Ergebnis.

Neue Impulse durch den Blick über den Tellerrand

Neben der Podiumsdiskussion bot der erste Tag auch eine Reihe interessanter Vorträge, die zum „Out of the box“-Denken anregten: In seinem Impulsvortrag ging Prof. Dr. Ulrich Mrowietz, Kiel, auf „Dissonanzen und Harmonien“ zwischen Wissenschaft und Patient*innenversorgung ein. Es gelinge zwar eine Verbesserung der Krankenversorgung seiner Ansicht nach nur durch wissenschaftliche Forschung, allerdings müssten Daten und Programme regelmäßig auf ihre Sinnhaftigkeit überprüft werden.

Spannende Impulse und einen Blick „von außen“ lieferte auch der Philosoph und Bestseller-Autor PD Dr. Nikil Mukerji in seinem Vortrag: „Medizin & Risiko – Was tun, wenn es zählt?“. Er ging der Frage nach, wie man philosophisch über das Risiko nachdenkt und was daraus für die Medizin folgt. Konkret gab er den Teilnehmenden drei Ratschläge für die Risikoabwägung in der medizinischen Praxis mit auf den Weg: „Seien Sie wachsam, und entscheiden Sie in Echtzeit. Sichern Sie sich ab. Achten Sie auf (Fehl-)Anreize und Denkfehler.“

Update zur Telematik-Infrastruktur

An Tag 2 des Interdisziplinären Summits gab Eric Grey, Produktmanager bei der gematik GmbH in Berlin, ein Update zur Telematik-Infrastruktur in Deutschland. Er präsentierte unter anderem einen Überblick über den aktuellen Stand von elektronischer Patient*innenakte (ePA), E-Rezept, Kommunikation im Medizinwesen (KIM) und Telematikinfrastruktur-Messenger (kurz: TI-Messenger). Herr Grey ermutigte die Zuhörer*innen auch dazu, gemeinsam die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, sich einzubringen und das Gesundheitswesen zukunftsfähig aufzustellen.

Sie wollen mehr über den Interdisziplinären Summit erfahren? In unserem zweiten Beitrag geht es um interdisziplinäre Patient*innenfälle und die Kongress-Highlights 2022.


Quellen

  1. Ärzteblatt.de. ANCA-assoziierte Vaskulitis: Blockade des Komplement-5a-­Rezeptors kann Steroide (weitgehend) ersetzen. Link: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/121396/ANCA-assoziierte-Vaskulitis-Blockade-des-Komplement-5a-Rezeptors-kann-Steroide-%28weitgehend%29-ersetzen. Letzter Zugriff: 16.12.2022.
  2. Mackensen A et al. Anti-CD19 CAR T cell therapy for refractory systemic lupus erythematosus. Nat Med 28, 2124–2132 (2022). https://doi.org/10.1038/s41591-022-02017-5.

Biogen-197736 v1.0 01/2023