Interdisziplinärer Summit 2023: Die Lehren aus der Pandemie

Wie steht es um den Impfschutz bei SARS-CoV2 in Zeiten von Omikron und neuen Varianten? Diese und weitere spannende Fragen erläuterte Prof. Dr. rer. nat. Christine Falk, Direktorin des Instituts für Transplantationsimmunologie, Medizinische Hochschule Hannover (MHH) und Mitglied des bis 2023 bestehenden „Corona-ExpertInnenrats“ der Bundesregierung in ihrem KeyNote-Vortrag im Rahmen des 6. Interdisziplinären Summit.

Der von Biogen organisierte 6. Interdisziplinäre Summit fand in diesem Jahr bereits zum dritten Mal als Hybridveranstaltung statt. Ein Beispiel dafür, wie die Corona-Pandemie die Art, wie wir Konferenzen abhalten, aber auch, wie wir arbeiten und leben zum Teil nachhaltig verändert hat. In ihrem KeyNote-Vortrag beim Interdisziplinären Summit analysierte Prof. Dr. rer nat. Christine Falk, Direktorin des Instituts für Transplantationsimmunologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und Mitglied des bis 2023 bestehenden „Corona-ExpertInnenrats“ der Bundesregierung, die Lehren aus der Pandemie aus ihrer Sicht als Immunologin. Dabei ging die Alt-Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI) nicht nur auf den Status-Quo bei Impfschutz und Impfempfehlungen ein, sondern brachte den Teilnehmenden auch Grundlagen der Immunologie von SARS-CoV näher und beleuchtete die Schnittstellen zwischen der Immunologie des Virus und chronisch-entzündlichen Erkrankungen.

Wie steht es um den Impfschutz? Status Quo und Empfehlung

Nach Zahlen des letzten Monatsberichts zum Impfgeschehen in Deutschland vom Mai 2023 wurden in Deutschland bis einschließlich April 2023 85,5 % der Bevölkerung grundimmunisiert und 73,1 % erhielten eine Auffrischimpfung (3. Impfung).1 Seitdem, so Prof. Falk, sei der Impfstatus nicht mehr gut dokumentiert. Man befinde sich daher in einer relativ unklaren Situation. Klar dagegen sei, wie man Risikogruppen, zu denen auch Menschen mit chronisch-entzündlichen Erkrankungen zählen, am besten schütze. Neben dem Schutz durch geeignete Maßnahmen wie etwa Mund-Nasen-Masken, regelmäßiger Testung und frühzeitiger Behandlung durch passive Immunisierung mit Antikörpern, sei ein wirksamer Impfschutz, der durch wiederholte Auffrischimpfungen erreichbar sei, ausschlaggebend, so die Expertin. Nach aktuellen Impfempfehlungen der STIKO wird Personen mit einem hohen Risiko eine jährliche Auffrischungsimpfung mit einem angepassten Impfstoff empfohlen.2 Zu den Risikogruppen zählen alle Personen über 60 Jahren sowie alle Personen ab einem Alter von 6 Monaten mit relevanten Grunderkrankungen, Bewohner*innen von Pflegeeinrichtungen und Menschen mit einem „erhöhten arbeitsbedingten Infektionsrisiko“ (medizinisches oder pflegerisches Personal). Daneben wird auch Familienangehörigen und engen Kontaktpersonen von Personen unter immunsuppressiver Therapie eine regelmäßige Auffrischimpfung empfohlen. Für alle anderen gelte die Empfehlung die Basisimpfung aus zwei Impfungen plus eine Auffrischimpfung.2,[1] Die dritte Impfung sei dabei noch einmal ein wirksamer Booster für den Immunschutz, der insbesondere einen verbesserten Schutz vor Ansteckung – auch bei „low“-Respondern, also Menschen mit geringer Immunreaktion – bringe. Die wiederholte Exposition und Aktivierung des Immunsystems führe neben dem kurzfristigen Schutz durch Antikörper zu einem langfristigen Schutz durch Gedächtnis- T-, B- und Plasmazellen.

Den besten Schutz jedoch, so die Expertin, biete nach aktuellen Erkenntnissen eine sogenannte hybride Immunität: Eine dreifache Impfung und eine anschließende Infektion. Der immunologische Vorsprung durch die Impfung minimiere das Risiko schwerer Verläufe. Durch die Infektion werde dann auch neben der durch die Impfung erreichten systemischen Immunität eine mukosale Immunität erreicht, die vor weiterer Ansteckung schützen könne.

Was bedeuten Omikron und weitere Varianten für den Impfschutz?

Inwiefern der Impfschutz auch für neue Varianten von SARS-CoV2 Bestand hat, ist eine vieldiskutierte Frage. Die Omikron-Variante des SARS-CoV2-Virus zeichnet sich im Vergleich zu WT, Alpha-, Beta- und Delta-Variante durch eine Vielzahl von Mutationen im Spike-Protein aus. Auffällig viele Mutationen befinden sich in der „receptor binding domain“ (RBD) des Spike-Proteins, also dem „Schlüssel“ für den Eintritt in die Zelle.3 Antikörper gegen RBD verhindern so eine Infektion, indem die Rezeptorbindung blockiert wird (neutralisierende Antikörper). Vergleichsweise wenige Mutationen findet man hingegen in der stärker konservierten S2-Domäne.3

Die durch eine Impfung mit den Impfstoffen der ersten Generation generierten Antikörper, die auf dem Wildtyp basierten, zeigen gegenüber der RDB-Domäne von Omikron kaum Affinität. Sie sind damit auch nicht in der Lage, diese zu neutralisieren und einen wirksamen Infektionsschutz zu bieten. Allerdings werden durch eine Impfung Antikörper gegen sämtliche Domänen des Spike-Proteins produziert, auch gegen die stärker konservierte S2-Domäne. Es konnte gezeigt werden, so die Expertin, dass diese S2-Antikörper wirksam im Serum an das Spike-Protein von Omikron binden und dadurch Fresszellen und T-Zellen aktivieren, die vor einem schweren Verlauf schützen können. Durch die Impfung generierte T-Zellen könnten also aktuelle und auch künftige Varianten erkennen, solange sie sich innerhalb der Omikron-Familie entwickelten, so Prof. Falk. Man könne nur hoffen, dass dies auch so bleibe.

Post-Covid: Schnittstelle zu chronisch-entzündlichen Erkrankungen

Zum Ende ihres Vortrages ging Prof. Falk auf das Thema Long- bzw. Post-Covid ein. Was genau unter Long-Covid zu verstehen ist, sei immer noch nicht einheitlich definiert. Hier gebe es noch unterschiedliche Definitionen von etwa CDC und WHO. Gemeinhin ist jedoch Konsens, dass eine gesicherte Covid-19-Diagnose in zeitlicher Nähe und Symptome, die mehr als 12 Wochen anhielten, ausschlaggebend seien, um Long-Covid zu diagnostizieren. Die auftretenden Symptome seien sehr vielfältig und schlössen etwa chronisches Fatigue-Syndrom (CFS), neurologische Beschwerden oder Lungenprobleme mit ein. Man kenne ein CFS auch von anderen Viruserkrankungen, etwa dem Eppstein-Barr-Virus, dem Erreger des Pfeifferschen Drüsenfiebers. Ein großer Unterschied sei jedoch, dass man bei SARS-CoV2 keine persistierenden Viren in Long-Covid-Patient*innen finden könne. Long-Covid sei wohl eine Kombination aus körperlichen und psychischen Beschwerden aber auch soziologischen Rahmenbedingungen.5

Die Pathogenese von Long-Covid ist noch weitgehend ungeklärt. Es verdichteten sich jedoch zunehmend die Hinweise, dass das Immunsystem einen entscheidenden Einfluss auf die Symptome von Post- und Long-Covid habe.6 Unter anderem gebe es starke Hinweise, dass Autoimmunität eine Rolle spielen könnte. So bildeten einige Patient*innen Autoantikörper, die sich kreuzreaktiv gegen körpereigene Strukturen richteten. Anhand der Daten einer eigenen Patientenkohorte konnte Prof. Falk zeigen, dass bei etwa 25 % der Patient*innen mit Covid-19, die auf der Intensivstation des MHH behandelt wurden, Autoantikörper nachgewiesen wurden, die auch nach der Erholung der Patient*innen erhalten blieben. Wobei allerdings unklar sei, ob diese bereits zuvor vorhanden waren. Bei den festgestellten Antikörpern handele es sich um anti-Zytokin und anti-nukleäre Autoantikörper wie etwa alpha CENP-A, das mit verminderter Lungenfunktion assoziiert sein könnte. Insgesamt, so Prof. Falk, könnten Autoantikörper viele der beobachteten Symptome von Long-Covid erklären. Hier brauche es jedoch noch weitere Forschung, um die Zusammenhänge zu verstehen. Möglicherweise seien Autoantikörper auch das Bindeglied zum Post-VAC-Syndrom, also Langzeitfolgen einer Impfung. Doch auch hier bestehe noch enormer Forschungsbedarf.

Dass der Vortrag von Prof. Falk auch im Publikum einige Denkanstöße lieferte, zeigte die anschließende Diskussion: Diskutiert wurde unter anderem die Möglichkeit einer milden Immunsuppression als Therapieansatz bei Long-Covid-Patient*innen. Dies sei zwar nach Ansicht der Expertin für den Teil der Patient*innen ein denkbarer Angang, bei denen eine chronische Entzündungsaktivität sicher nachweisbar ist. Allerdings gebe es auch Long-Covid-Patient*innen die eine verringerte Immunaktivität aufwiesen. Bei dieser Gruppe könnte eine Immunsuppression kontraproduktiv sein. Beim Design möglicher zukünftiger Studien sei es daher entscheidend, die Population mit erhöhter Entzündungsaktivität zuverlässig zu detektieren.

Interdisziplinärer Summit forciert Austausch zwischen Fachgebieten

Der 6. Interdisziplinäre Summit fand am 24. und 25. November 2023 in Frankfurt am Main statt. Wie in den vergangenen Jahren fand der von Biogen veranstaltete Interdisziplinäre Summit als hybride Veranstaltung statt. Die Teilnehmer konnten sich in Präsenz am Veranstaltungsort oder virtuell zu aktuellen Themen der drei Fachbereiche und darüber hinaus informieren. Neben dem KeyNote-Vortrag von Prof. Falk hielt die Veranstaltung zahlreiche weitere Highlights für die anwesenden Expert*innen aus Rheumatologie, Gastroenterologie und Dermatologie bereit. Die hochkarätig besetzte Expertenrunde diskutierte nicht nur Kongresshighlights und fachfremde Impulsvorträge sondern erörterte auch interdisziplinäre Kasuistiken und viele weitere aktuelle Themen im Zusammenhang mit der Therapie von chronisch-entzündlichen Erkrankungen. Ein weiteres Highlight war die Podiumsdiskussion „Odyssee bis zur richtigen Diagnose und Therapie“, deren Zusammenfassung Sie hier lesen können.

Weitere Einblicke in die Inhalte des Interdisziplinären Summit und dessen Inhalte erhalten Sie auf der BiogenLinc.

* Aktuelle Impfempfehlungen entnehmen Sie bitte der Seite des Robert Koch Institutes: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/ImpfungenAZ/COVID-19/Impfempfehlung-Zusfassung.html

Referenz

  1. Robert Koch Institut. Monitoring des COVID-19-Impfgeschehens in Deutschland. Monatsbericht des RKI vom 04.05.2023. Link: www.rki.de/covid-19-impfbericht. Letzter Zugriff: 21.12.2023.
  2. Robert Koch Institut. RKI - Archiv 2023 - Implementierung der COVID-19-Impfung in die allgemeinen Empfehlungen der STIKO 2023 (Aktualisierung Epid Bull 4/2023). Link:https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2023/21/Art_01.html. Letzter Zugriff: 21.12.2023.
  3. Gruell H, Vanshylla K, Tober-Lau P, et al. mRNA booster immunization elicits potent neutralizing serum activity against the SARS-CoV-2 Omicron variant. Nat Med. 2022;28(3):477-480. doi:10.1038/s41591-021-01676-0.
  4. Ruhl L, Kühne JF, Beushausen K, et al. Third SARS-CoV-2 vaccination and breakthrough infections enhance humoral and cellular immunity against variants of concern. Front Immunol. 2023;14:1120010. doi:10.3389/fimmu.2023.1120010.
  5. Nalbandian A, Desai AD, Wan EY. Post-COVID-19 Condition. Annu Rev Med. 2023;74:55-64. doi:10.1146/annurev-med-043021-030635.
  6. Klein J, Wood J, Jaycox JR, et al. Distinguishing features of long COVID identified through immune profiling. Nature. 2023;623(7985):139-148. doi:10.1038/s41586-023-06651-y.

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