Der lange Kampf um die CRISPR-Patente

Wer hält das Patent auf die Genschere CRISPR/Cas9? Zusammen mit dem Patentanwalt Fritz Baumbach nimmt Prof. Reinhard Renneberg den rechtlichen Streitfall genauer unter die Lupe.

Wem verdanken wir CRISPR/Cas9?

CRISPR/Cas ist ein Mechanismus, mit dem Bakterien Bakteriophagen, also Viren, abwehren. Ein solcher "natürlicher Prozess" ist nach geltenden Gesetzen nicht patentierbar, weder in der EU, noch in den USA. Doch ohne eine erfinderische Leistung wäre daraus kein universelles Verfahren geworden, um DNA-Bausteine in allen lebenden Zellen gezielt verändern zu können.

Die sehr emotionale "Blut-Schweiß-und Tränen"-Langfassung des CRISPR-Patent-Dramas, wie von einem modernen Shakespeare ersonnen, schildert der US-Bestseller-Wissenschaftshistoriker Walter Isaacson akribisch recherchiert in seinem, von mir sehr empfohlenen, fast 700 Seiten langen Wälzer "Code Breaker".  Mir selbst war nach dem Lesen des Patent-Teiles des Buches  allerdings richtiggehend übel. Ich verstand nun plötzlich Emmanuelle Charpentiers persönliche Bemerkung zu mir in Hongkong 2016: "Die Welt ist so schlecht." Die Rangelei um das Patent ist abschreckend, besonders für junge Idealisten in der Wissenschaft. Ich schildere hier aus Platzgründen unemotional nur wesentliche Fakten. 

Mein deutscher Patentanwalt Fritz Baumbach (Berlin) war bereit, knifflige Patentfragen von mir dazu zu beantworten. Er ist seit 50 Jahren Patentanwalt und ich vermute damit wahrscheinlich der dienstälteste Patentanwalt der Welt. Seine (mit Verlaub – RR) Genialität bewies er im übrigen 1988 mit dem Gewinn der Fernschach-Weltmeisterschaft.

Fünf Akteure im CRISPR-Drama

Die fünf  Hauptrollen im Patent-Drama: Feng Zhang vom MIT und seinem Broad Institute, seine Mentoren Eric Lander und George Church vom MIT und der Universität Harvard und auf der Gegenseite Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier. Der aus China kommende Feng Zhang, nach dem Wissenschaftshistoriker Walter Isaacson ein fröhlicher und zurückhaltender Mensch, aber mit Riesenehrgeiz, wird von ihm so beschrieben: 

"Er mochte das Rampenlicht nicht allzusehr, wurde aber von seinem Mentor Eric Lander, dem brillanten zum Naturwissenschaftler gewordenen Mathematiker und Leiter des Broad Institutes, dazu gedrängt, nicht nur nach neuen Entdeckungen zu streben, sondern sich auch darum zu bemühen, die ihm gebührende Anerkennung einzustreichen."

Der "Veganer mit Nikolausbart" George Church aus Harvard will mit Gentechnik und CRISPR das Mammut wiedererschaffen bzw. einen Mammufanten. Er ist seit langen Jahren Doudnas persönlicher Freund und war zeitweilig Zhangs Mentor und Berater. Er soll persönlich enttäuscht über Zhangs Verhalten gewesen sein. Die Lesern der Medilumne bereits bekannte Jennifer Doudna war nach Walter Isaacson "nicht nur kompetitiv, sondern damit auch mit sich im Reinen." Sie fand den Streit nicht ungewöhnlich.

Die Französin Emmanuelle Charpentier ist nach meiner Auffassung die erste unter allen genannten Akteuren, die glasklar CRISPR verstand und frei darüber kommunizierte, im Vertrauen auf Kollegialität, wie sie mir traurig erzählte.

Im Mai 2012 hatten Doudna und Charpentier in einer wissenschaftlichen Publikation erstmals ihre Erfindung von CRISPR/Cas als universales Genome Editing-Verfahren beschrieben. Im gleichen Jahr 2012 reichte die University of California (UC, Berkeley) für Doudna und Charpentier einen Patentantrag bei der US-Patentbehörde (US Patent and Trademark Office) ein. Kurz nach 19 Uhr am 25. Mai 2012 geschah das. Gleichzeitig machte das Charpentier auch für ihre damalige Uni Wien. Dort gilt das europäische Patentrecht.

Doch im April 2014 wurde ihnen überraschenderweise nicht allein ihnen das Patent zuerkannt, sondern auch Feng Zhang vom Broad Institute des MIT (Masschusetts Institute of Technology) und der Harvard-Universität. Zhang hatte mit seinem Team 2013 ebenfalls zu CRISPR publiziert und sofort einen Patentantrag gestellt, allerdings wenige Monate später als Doudna und Charpentier. Mein Patentanwalt Fritz Baumbach erläutert das Szenario.

Interview mit dem Patentanwalt Fritz Baumbach

Wieso bekam Zhang die Priorität?

Baumbach: Es klingt trivial: Doudna und Charpentier bezahlten 155 Dollars mit Kreditkarte. Es kam ihnen überhaupt nicht in den Sinn, eine kleine Extragebühr zur Verfahrensbeschleunigung zu bezahlen. Zhang wurde offenbar anwaltlich geraten, genau das zu machen! Also wurde formal über Zhang früher entschieden! Die frühere Entscheidung bedeutet aber nicht, dass man auch die ältere Priorität bekommt. Offenbar hat Zhang von der alten Regelung des US-Patentrechts profitiert, nach welcher der Zeitpunkt der Erfindung maßgeblich ist (first to invent). Am 16.3.2013 hat der US-Gesetzgeber  diese Regelung geändert und der Regelung in Europa und auch anderen Ländern (first to file) angeglichen. Bis dahin wurde der Erfindungstag allein von den Anmeldern angegeben und war nicht unabhängig überprüfbar. 

Wie kann man überhaupt genau sagen, wann man etwas erfunden hat?

Baumbach: Richtig! Es ist  auch für den oder die Erfinder kaum feststellbar, an welchem Tag die entscheidende Idee gekommen ist: Beim Lesen der Versuchsprotokolle, aber manchmal auch woanders (sogar im Kino, beim Fahren im Bus, im Schwimmbad). Zhang hatte - zusammen mit dem bekannten Harvard-Professor George Church - zum ersten Mal CRISPR bei Maus- und menschlichen Zellen angewandt. Für diese besonders lukrativen Anwendungen an höheren Zellen bekam das Broad Institute das CRISPR-Patent zugesprochen, für das Verfahren „an sich“ Doudna und die University of California. 

Die Patentfachleute nennen es Basispatent und abgeleitetes Patent, beide können nebeneinander existieren. Jennifer Doudna meinte dazu allegorisch: „Die anderen haben das Patent für grüne Tennisbälle, wir dagegen haben das Patent auf alle Tennisbälle.“ Sie und Charpentier beanspruchten weiter das grundlegende Patent auf das Verfahren und leiteten umgehend eine formelle Überprüfung (patent interference) ein. Doch sie scheiterten erneut. Im September 2018 entschied ein US-Berufungsgericht, die Patentansprüche des Broad Institute seien „hinreichend eigenständig“ und könnten neben denen von Doudna und Charpentier bestehen.

Keine der beiden Seiten wollte sich mit einem schwammigen Kompromiss zufriedengeben. Nach einer erbittert geführten Auseinandersetzung entschied die Berufungsinstanz des US-Patentamts im Februar 2022 überraschend, dass Zhang und dem Broad Institute das Patent für CRISPR-Anwendungen bei höheren Lebewesen allein zustehe. Es folgte damit der Darstellung des Broad Institutes, die Zhang-Gruppe habe erstmals – und damit vor ihren Konkurrentinnen – das CRISPR-System erfolgreich eingesetzt. 

Nanu? Ist denn nicht der Zeitpunkt der Erfindung ausschlaggebend?

Baumbach: Ja! Damals war eben in den USA der Zeitpunkt der Erfindung maßgebend für ein Patent, nicht der, an dem der Antrag eingereicht wurde. Doudna und die University of California „zeigten sich von der Entscheidung enttäuscht“ und kündigten an, sie erneut anfechten zu wollen. Inzwischen gibt es neben den von beiden Seiten beanspruchten Basispatenten unzählige weitere Patente rund um die CRISPR-Technologie, etwa zu verschiedenen Varianten des Cas-Schneideproteins. Allein bei den Basen-Editoren, spezielle CRISPR-assoziierte Enzyme zur DNA-Editierung, sind inzwischen über 700 Patente angemeldet worden. In einigen Fällen lassen sich damit die rechtlich unklaren Basispatente umgehen.

Ist das alles anders in Europa?

Baumbach: Ja! In Europa – und ähnlich in weiteren 30 Ländern – ist die Lage anders. Das Europäische Patentamt hat die Anmeldung des Broad Institute deutlich zurückgewiesen. Die vorgelegten Unterlagen seien nicht ausreichend, um die Patentansprüche anzuerkennen. Die Rechtslage ist also recht verworren. Unternehmen, die an kommerziellen CRISPR-Anwendungen arbeiten, wissen nicht, an wen sie die fälligen Lizenzgebühren zahlen müssen.  Die unterschiedliche Auffassung in den USA und der EU vor dem 16.3.2013 führte dazu, dass Patente häufig angefochten wurden. Gerade nähern sich einige CRISPR-Anwendungen der Marktreife, erste Zulassungsanträge für experimentelle CRISPR-Therapien sind angekündigt. Für akademische und andere nicht-kommerzielle Forschungsprojekte bleiben die CRISPR-Verfahren allerdings frei und ohne Lizenzgebühren nutzbar. Patentansprüche gelten hier nicht.

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