Die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Suchterkrankungen muss besser werden!

In vielen Regionen fehlen therapeutische Angebote für Minderjährige. Das Jugendalter ist eine besonders kritische Lebensphase, um Abhängigkeiten zu etablieren.

Deutschland könnte mehr gegen Abhängigkeiten tun

In vielen Regionen fehlen therapeutische Angebote für Minderjährige. Das Jugendalter ist eine besonders kritische Lebensphase, um Abhängigkeiten zu etablieren.

Die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Abhängigkeits- und Suchterkrankungen ist unzureichend in Deutschland. Es mangelt an jugendspezifischen Versorgungseinrichtungen, an Angeboten zur Rehabilitation und an Betten für die Entzugsbehandlung der 12- bis 17-Jährigen. Lediglich etwa 200 Betten stehen in ganz Deutschland für die stationäre kinder- und jugendpsychiatrische sowie psychotherapeutische Suchtbehandlung zur Verfügung. Die schlechte Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Abhängigkeitserkrankungen ist ein Schwerpunkt auf dem Deutschen Suchtkongress 2018, der vom 17. bis 19. September im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) stattfinden wird. Veranstalter sind die Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie e.V. (DG-Sucht) und die Deutsche Gesellschaft für Suchtpsychologie (dg sps).

"Das Jugendalter ist eine besonders kritische Lebensphase für die Entwicklung von Suchterkrankungen. Hier etablieren sich häufig Missbrauch und Abhängigkeiten, die dann zu chronischen psychischen Störungen werden können. Es entsteht ein hohes Chronifizierungspotenzial im Erwachsenenalter", erklärt Professor Rainer Thomasius, Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Präsident des Deutschen Suchtkongresses. Das Spektrum an Abhängigkeitserkrankungen erweitert sich. "Zu den substanzgebundenen Störungen wie Alkoholismus und Abhängigkeit von harten Drogen kommen vor allem internetbezogene Störungen wie Internet-, Social-Media- und Computerspielsucht. Wir sind dafür bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland bisher schlecht aufgestellt – bei Erwachsenen dagegen sehr gut", sagt Thomasius.

Alkoholabhängigkeit und Cannabismissbrauch

Alkoholbezogene Störungen sind der häufigste Anlass für eine Krankenhausbehandlung bei Kindern und Jugendlichen. Jährlich werden der Krankenhausdiagnosestatistik 2018 zufolge mehr als 23.000 unter 20-Jährige in Deutschland aufgrund akuten Alkoholmissbrauchs stationär notfallmedizinisch behandelt – eine Verdopplung seit dem Jahr 2000. Bei den 15- bis 19-Jährigen sind cannabisbezogene Störungen die Hauptursache für ambulante und stationäre suchttherapeutische Behandlungen. Die Zahl vollstationärer Behandlungen aufgrund cannabisbezogener Störungen hat sich mit jährlich etwa 12.000 Fällen mehr als vervierfacht seit 2002. Ein Grund: Der Wirkstoffgehalt von Cannabis ist heute etwa fünf Mal so hoch wie vor 30 Jahren. Besonders betroffen sind männliche Jugendliche.

Etwa jeder zwölfte (8,4 Prozent) Junge oder junge männliche Erwachsene zwischen 12 und 25 Jahren ist süchtig nach Computerspielen. Rund 100.000 (2,6 Prozent) der 12- bis 17-Jährigen in Deutschland gelten als abhängig von Social Media. Die im Auftrag der DAK durchgeführte Forsa-Umfrage "WhatsApp, Instagram und Co. – so süchtig macht Social Media" kam 2018 zu dem Ergebnis, dass 85 Prozent der 12- bis 17-Jährigen jeden Tag soziale Netzwerke wie WhatsApp, Instagram und Snapchat nutzen – im Durchschnitt 166 Minuten pro Tag. 226 Minuten verbringt diese Altersgruppe mit Online- und Offline-Computerspielen.

"Die Generation der 12- bis 17-Jährigen ist stärker als andere Altersgruppen gefährdet, Abhängigkeiten zu entwickeln. Darauf müssen wir uns in der Suchttherapie einstellen", fordert Professor Thomasius. "Die Suchtbehandlung muss in spezialisierten psychiatrischen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche erfolgen und nicht gemeinsam mit Erwachsenen. Wir müssen die jungen Menschen viel stärker bei der Lebensgestaltung im Alltag unterstützen und ihnen zum Beispiel eine stationäre Nachsorge in Wohngruppen ermöglichen."

Familie und Schule bei Prävention einbeziehen

Eine effektive Suchtprävention muss Familie, Schule und Freizeiteinrichtungen einbeziehen. Zusätzlich ist eine engere Vernetzung zwischen dem medizinischen Versorgungssystem sowie der Jugend- und Suchthilfe notwendig. "Jugendliche dürfen nicht aus dem Therapieraster fallen, wenn sie volljährig werden. Wir müssen eine Anschlussbehandlung nach Beendigung einer voll- oder teilstationären Therapie für Jugendliche mit suchtbedingten psychischen Erkrankungen gewährleisten", sagt Peter Missel, Präsident der mitveranstaltenden Deutschen Gesellschaft für Suchtpsychologie (dg sps). 

Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen können als Folge des missbräuchlichen Drogenkonsums ein gestörtes Sozialverhalten depressive Störungen und Impulskontrollstörungen auftreten. Auch Ängste, soziale Phobien, Essstörungen sowie substanzinduzierte Psychosen ausgelöst durch Cannabis, Ecstasy, Amphetamine, Kokain und LSD und schizophrene Psychosen sind mögliche Erkrankungen aufgrund von Abhängigkeiten. Opioide wie Heroin spielen bei Jugendlichen eine untergeordnete Rolle.

"Wir sehen bei Patienten mit Suchterkrankungen eine verringerte Lebenserwartung, was Grund genug sein sollte, stärker in therapeutische Angebote zu investieren. Die Politik ist hier gefordert, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu setzen", so Missel.

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