Initiative Long COVID: Mehr Forschung, bessere Versorgung

Das Bundesgesundheitsministerium hat die Initiative Long COVID gestartet. Das Projekt soll die erheblichen Wissenslücken zum Krankheitsbild schließen.

Wissenslücken zu Long COVID gemeinsam schließen

Zur Verbesserung der noch sehr unzulänglichen Versorgung von Patienten mit Long COVID hat das Bundesgesundheitsministerium eine Initiative gestartet, die drei Elemente beinhaltet: die Einrichtung einer unter Federführung der Charité entwickelten Website (www.bmg-longcovid.de), deren Informationen sich an Ärzte, Betroffene und Arbeitgeber richtet und die die erheblichen Wissenslücken schließen soll; die Förderung von Projekten zur Versorgungsforschung aus Mitteln des Bundesgesundheitsministeriums – 21 Millionen Euro – und des Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses – 20 Millionen Euro – ; die Etablierung eines Runden Tischs mit Vertretern der Ärzteschaft, der Krankenkassen, die Industrie und Betroffenen, die das erste Male Anfang September zusammentreten werden.

"Wir dürfen die Patienten nicht allein lassen", sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach am 12.07. vor Journalisten in Berlin bei der Vorstellung der Initiative. Long COVID stelle sich als ein komplexes, bislang nicht kausal behandelbares und nicht heilbares Krankheitsbild mit immunologischen und/oder kardiovaskulären Folgeschäden dar. Zwischen 6 und 15 Prozent der an Corona Infizierten, etwas weniger bei der Omikron-Variante, litten unter dieser Späterkrankung. Genesene könnten wiederholt erkranken, und Long COVID könne auch lange nach überwundener Infektion auftreten, so dass mit einer Kumulation der Krankheitslast in Zukunft zu rechnen sei, sagte Lauterbach. Nach einer gesundheitsökonomischen Studie der Universität Frankfurt belaufen sich die wirtschaftlichen Folgeschäden in Deutschland auf bislang 5,7 Milliarden Euro.

Das erfordere erhebliche Anstrengungen in der Grundlagen- und klinischen Forschung, aber auch für die Entwicklung von Konzepten für eine funktionierende flächendeckende Versorgung der Patienten. So werde auf Beschluss der G7-Mitgliedsstaaten die Grundlagenforschung sowie die Entwicklung von Arzneimitteln gefördert. 

Informationsportal auch für Ärzte als wichtige Zielgruppe

Das Informationsportal des BMG richtet sich insbesondere auch an Ärzte: Es soll den aktuellen Stand der Wissenschaft hinsichtlich Diagnostik und Therapie abbilden und die bereits vorhandene Expertise von Spezialisten Top-Kliniken transparent machen. Die Informationen sind auch auf Englisch und Russisch verfügbar. Ferner wird das Informationsportal über die Ergebnisse der Arbeit des Runden Tischs berichten.

Ursprüngliche Pläne Lauterbachs sahen vor, 100 Millionen Euro kurzfristig in die Versorgungsforschung zu investieren. Dieser Betrag sei angesichts der angespannten Haushaltslage nicht realisierbar gewesen, gestand der Minister zu. Mit der Kofinanzierung von Projekten des GBA-Innovationsfonds würden insgesamt jedoch 41 Millionen Euro erreicht.

"Wir hoffen, dass dieser Betrag nur ein Anfang ist", sagte die Leiterin der Immundefekt-Ambulanz an der Charité, Professor Carmen Scheibenbogen. Nach ihren Angaben sind allein in Deutschland schätzungsweise 100.000 Patienten mit schweren und langwierigen Krankheitsverläufen betroffen: 50 Prozent seien nicht oder nur stark eingeschränkt arbeitsfähig, die Krankheitsdauer erreiche zwei bis drei Jahre. 

Sie richtete den dringenden Appell an Ärzte, sich fortzubilden. In der Praxis werde nach ihrer Erkenntnis das Chronische Fatigue Syndrom (ME/CFS) häufig als psychische Erkrankung fehlinterpretiert und nicht adäquat behandelt. Tatsache sei aber auch, dass Diagnostik und Therapie in den Vergütungssystemen der Vertragsärzte und der Institutsambulanzen der Krankenhäuser nicht adäquat abgebildet seien. Außerdem stünden keine kausal wirksamen Arzneimittel zur Verfügung. Gegenwärtig möglich sei die Linderung der Symptomatik; die Charité setze dazu Medikamente im Off-Label-Use ein. Dringend notwendig seien klinische Studien mit vorhandenen Arzneimitteln, um deren Potential systematisch zu untersuchen. Das erfordere erhebliche zusätzliche Anstrengungen. 

"Long COVID so ernst nehmen wie HIV"

Von "dramatischen Auswirkungen, insbesondere auch für Kinder" spricht Professor Bernhard Schieffer, Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie und internistische Intensivmedizin an der Universität Gießen/Marburg. Die Erscheinungsformen mit immunologischen, infektiologischen und kardiovaskulären Komponenten erforderten interdisziplinäre Forschungs- und Behandlungsansätze. Dringend notwendig sei dabei eine zügigere Translation von Erkenntnissen aus der Grundlagenforschung in die klinische Forschung und Versorgung. Dabei müssten auch Patienten mit unerwünschten Nebenwirkungen der Impfung einbezogen werden, deren Symptome denen von Long COVID ähnlich sind. Die Nebenwirkungsrate werde auf etwa 0,02 bis 0,03 Prozent geschätzt.

Schieffer mahnte, die Herausforderungen, die Long COVID an die Medizin, aber auch die Politik stellt, genauso ernst zu nehmen wie Mitte der 1980er Jahre HIV. Es werde eine Dekade erfordern, Long COVID systematisch zu erforschen, bis befriedigende Therapien entwickelt worden sind. "Der Start tut weh. Aber die Erfolge bei HIV sollten für uns ein Vorbild sein."