Leistungserbringer üben scharfe Kritik an Lauterbach

Ärzte, Apotheker und Kliniken warnen vor "dramatischen Versorgungslücken". Nahezu alle Bereiche der Medizin seien von der Gefährdung betroffen.

Verfehlte Reformpolitik resultiert in massiver Gefährdung der Versorgung

Die Spitzenorganisationen der Leistungserbringer im Gesundheitswesen warnen vor einer wachsenden Gefährdung der Versorgung in nahezu allen Bereichen der Medizin durch eine verfehlte Reformpolitik der Ampel-Koalition. Gemeinsam werfen sie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mangelnde Bereitschaft zum Dialog vor, insbesondere mit jenen Organisationen, deren gesetzlicher Auftrag die Organisation der Versorgung ist. Das zeuge auch von "mangelndem Respekt" letztlich vor den Patienten. Das Ergebnis seien verfehlte, unwirksame oder gar kontraproduktive Gesetze mit mehr Bürokratie und Zentralismus.  Alle Organisationen bekundeten ihre Bereitschaft zu notwendigen Reformen und zum konstruktiven Dialog.

Für die KBV und die DKG machten deren Vorstandsvorsitzende Dr. Andreas Gassen und Dr. Gerald Gaß deutlich, dass ihre beiden Organisationen einen Lernprozess durchgemacht hätten und ambulante und stationäre Versorgung sich inzwischen komplementär verstehen. Dies habe sich bei der Vereinbarung zu Hybrid-DRGs und bei der Neugestaltung der Notfallversorgung gezeigt. 

Die mit dem Versorgungsgesetz I geplanten Veränderungen für die hausärztliche Versorgung werde diese nicht stärken, sondern eher schwächen, so Gassen. Ursächlich dafür sei die von Lauterbach intendierte Verlagerung der Hausärzte zu Kliniken oder Primärversorgungszentren. Das gehe auf Kosten einer wohnortnahen, dezentralen Versorgung durch freiberuflich tätige Ärzte. Den Praxen würden schablonenmäßig zentrale Standards vorgegeben, die nicht zur Struktur eines regional und dezentral organisierten Versorgungssystems passten. Überdies herrsche während des gesamten Gesetzgebungsprozesses und seiner Vorbereitung erhebliche Unsicherheit darüber, in welchem offiziellen oder inoffiziellen Stadium sich ein Verfahren befinde. 

Mangel an Dialogbereitschaft 

DGK-Chef Gaß warnte vor bereits kurz- und mittelfristig entstehenden erheblichen Einschränkungen der Krankenhausversorgung. Nach seinen Angaben planen aktuell mehr als 50 Prozent der Krankenhäuser für die nächsten zwölf Monate Schließungen von Abteilungen oder sogar die Aufgabe ganzer Standorte. Die DKG bekenne sich zu Reformen und sei dazu bereit, so Gaß. Die Weigerung Lauterbachs, die Expertise der DKG in den Reformprozess frühzeitig einzubeziehen, führe nun zu einem Blindflug. So sei es in der ganzen bisherigen Legislaturperiode bislang zu keinem einzigen direkten Dialog zwischen Lauterbach persönlich und der DKG gekommen; der erste Austausch fand am heutigen Donnerstag statt. Die geplante Reform für Struktur und Vergütung der Krankenhäuser mit einer Einführung der Vorhaltefinanzierung werde die Erlössituation eher verschlechtern, da das Vergütungssystem und auch die Zahlung von Vorhaltepauschalen prinzipiell fallzahlabhängig blieben. Wenn kleine Krankenhäuser auf Spezialleistungen verzichteten – was prinzipiell sinnvoll sei – , dann mindere dies ihre Erlöse. 

Auch die zahnmedizinische Versorgung sei gefährdet, so der Vorstandsvorsitzende der KZBV, Martin Hendges. Immer weniger Zahnärzte seien zur Niederlassung bereit, dagegen nehme die Zahl der iMVZ in Trägerschaft von Investoren zu. Absolut kontraproduktiv und begleitet von weitreichenden Folgen sei die mit dem GKV-Finanz-Stabilisierungsgesetz eingeführte Budgetierung der präventionsorientierten Parodontosebehandlung. Die monatlichen Fallzahlen seien von 120.000 auf 77.500 nach Wirksamwerden des Spargesetzes gesunken. Potenziell 30 Millionen Patienten seien davon betroffen – trotz der Ankündigung Lauterbachs, keine Leistungsbeschränkungen beschließen zu wollen. Die gesamtgesellschaftlichen Folgekosten nicht behandelter Parodontose bezifferte Hendges auf rund 35 Milliarden Euro aufgrund von Gesundheitsschädigungen durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und rheumatischen Erkrankungen.

Lieferengpässe nehmen eher zu als ab

Sorgen artikulierte auch die Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), Gabriele Overwiening: Seit Jahren sinke die Zahl der Apotheken, allein im letzten Jahr um 500. Zugleich litten die Apotheken unter Fachkräftemangel. Dies gehe einher mit erheblichem zusätzlichen Arbeitsaufwand, insbesondere durch anhaltende oder sich verschärfende Liefer- und Versorgungsengpässe bei Arzneimitteln. Drastischer bürokratischer Mehraufwand sei auch durch die unsinnige und in der Pandemie bewährte Erleichterung des Austauschs von Arzneimitteln entstanden. Hinzu komme ein erhöhter Erklärungsbedarf für  Patienten in der Einführungsphase des E-Rezepts, das noch nicht immer technisch einwandfrei funktioniere. Die Pläne Lauterbachs, Versorgungsprobleme für Arzneimittel durch Apothekenfilialen, die nur mit PTAs besetzt sind, bezeichnete Overwiening als Einführung von "Scheinapotheken", denen die Expertise von Apothekern fehlen würde. 

Gemeinsam betonten alle vier Spitzenorganisationen, Patienten und breite Öffentlichkeit intensiver über die aus ihrer Sicht verfehlte Reformpolitik aufklären zu wollen. Lauterbach, so der gemeinsame Vorwurf, habe den Bezug zur Realität, aber auch zur Bevölkerung verloren. 

Als Beispiel führte DKG-Chef Gaß die drohende Schließung des Krankenhauses im rheinland-pfälzischen Bingen an: Dort hielten inzwischen Kommunalpolitiker mit SPD-Parteibuch Mahnwachen ab.