Lunge und Psyche: Totgeschwiegene Probleme?

Heute geht es uns um Widersprüche und Schnittstellen, mit dem Ziel, zwei Dinge gedanklich zusammenzubringen: Lunge und Psyche.

Lunge und Psyche sind eng miteinander verflochten

Ob wir uns der COPD von vorne oder von hinten nähern, also auf die Umstände ihrer Entstehung oder auf ihre Auswirkungen in der End-of-Life-Perspektive schauen – an der engen Verflechtung mit dem psychischen Befinden kommen wir nicht vorbei. Überraschen wird das wohl niemanden, eigentlich.

Widerspruch Nummer 1:

"Die Deutschen mindestens im sechsten Himmel: Beim Glücksatlas 2017 zeigen sich die Bundesbürger zufrieden mit ihrem Leben." (Quelle: Ärzte Zeitung online, 07.11.2017)

Verus:

"Jeder vierte Erwachsene in Deutschland greift regelmäßig zur Zigarette. Damit liegt die Zahl der Raucher hierzulande höher als in den meisten anderen Industrieländern." (Quelle: Pressemitteilung der DGP, 25.07.2017)

Der Pneumologe Prof. Berthold Jany, Pastpräsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), wies in der Pressemitteilung der Fachgesellschaft auf den psychiatrischen Krankheitswert des Rauchens hin: "Rauchen ist kein Lifestyle-Problem, sondern eine Sucht – deshalb scheitern die meisten Raucher, wenn sie ohne professionelle Hilfe versuchen aufzuhören." (Der Titel der Medieninformation lautet: "Deutschland, die Raucherecke Europas? Lungenärzte drängen auf Werbeverbot und Entwöhnungsprogramme").

"Rauchen ist kein Lifestyle-Problem, sondern eine Sucht" – und COPD-Faktor Nr. 1

Da stellen sich uns spontan zwei Fragen: Wie passt das massenhafte Suchtverhalten (von Alkohol, Zucker und anderen Suchtstoffen gar nicht zu reden) mit dem angeblich so exorbitanten Glücksgefühl der Deutschen zusammen? Und wie wird dem psychischen Aspekt im pneumologischen Versorgungsmanagement Rechnung getragen?

Zur Beantwortung der ersten Frage stellen wir mal achselzuckend die Aussagekraft und den Aussagewert des Glücksatlas der Deutschen Post (sic!) – jenseits der politischen Ebene – in Frage. Zumindest aus Sicht des rauchenden COPD-Patienten und seines behandelnden Arztes.

Die zweite Frage führt uns zu Widerspruch Nummer 2:

"Lungen und Psyche – eine Verbindung, deren Bedeutung für den medizinischen Alltag inzwischen nicht mehr in Frage gestellt wird."1

Versus:

"Die meisten Patienten geben an, nie mit den behandelnden Ärzten über Ängste gesprochen zu haben." (Quelle: 10. Symposium Lunge am 02.09.2017 in Hattingen)

"Lunge und Psyche" – Wie steht es damit in der Praxis?

Beide Zitate stammen von Prof. Klaus Kenn (Schönau/Marburg), einem Experten für Pneumologische Rehabilitation. Unter seiner Federführung (zusammen mit Prof. Michael Pfeifer, Donaustauf/Regensburg) widmete sich Der Pneumologe im vergangenen Jahr erstmals mit einer ganzen Ausgabe dem Thema "Lunge und Psyche". In der Pneumo News erschien etwa zeitgleich ein lesenswerter Beitrag2 von Kenn, den mit der treffenden Formulierung eines aus der Praxis bestens bekannten Widerspruchs beginnt:

"Im Gegensatz zu Patienten mit Bronchialkarzinom oder bedrohlicher koronarer Herzkrankheit, die ihre psychischen Probleme in der Arzt-Patienten-Kommunikation mehr oder weniger offen präsentieren, scheinen Gespräche zu Angst und Depression bei COPD-Patienten nicht üblich zu sein. Dies, obwohl alle diese Krankheiten selbst verschuldete Folgen eines langjährigen Tabakkonsums sein können. Was ist bei der COPD anders und was macht hier den Unterschied aus?"

Das "obwohl" könnte man möglicherweise in Frage stellen, denn vielleicht liegt die kommunikative Zurückhaltung seitens der Patienten ja auch in dem Wissen um die eigene "Mitschuld" begründet. Für das ärztliche Vorgehen – kommunikativ und therapeutisch-interdisziplinär – sollte man diesem Gedanken vermutlich Beachtung schenken.

Wo bleibt die Psychopneumologie?

Unter der Zwischenüberschrift "Totgeschwiegene Probleme?" schreibt Kenn: "Anders als Patienten mit Bronchialkarzinomen oder Myokardinfarkt, also ebenfalls Tabakkonsum assoziierte Folgeschäden, scheint der COPD-Patient im klinischen Alltag eher eine stumme Rolle zu spielen. Somit wird seitens der ärztlichen Betreuung vielleicht keine derartige Problematik vermutet, so dass keine Kommunikation zu psychischen Aspekten stattfindet. Die Ursachen hierfür sind nicht untersucht und mögen vielfältiger Natur sein."

Hier kommen die Schnittstellen zum Tragen, die in Zukunft stärker genutzt werden müssen und das auf allen Ebenen: in der hausärztlichen und in der lungenfachärztlichen Praxis, in der Klinik, in Forschung und Lehre. Wo bleibt die Psychopneumologie?

Die Psychoonkologie ist längst etabliert, die Psychokardiologie zieht nach (Psychokardiologie – Medizin mit Herz und Seele). Googelt man dagegen nach "Psychopneumologie", stößt man vor allem auf Dr. Monika Tempel (Donaustauf). Sie ist durch ihre Publikationen und Vorträge, auch beim letzten DGP-Kongress in Stuttgart, in der Fachszene bekannt. In ihrem Informationsportal/Blog "Sauerstoff und Sinn" finden sich u. a. erste Einträge zu einem "Lexikon der Psychopneumologie". Tempel bezeichnet in ihrem Blog-Profil die Psychopneumologie als "ein Fach mit einer großen Zukunft, das offiziell noch gar nicht existiert".

Schon das Ansprechen der Ängste bringt etwas

Abwarten, bis es soweit ist, muss und sollte man natürlich nicht. Das Wichtigste ist, Lunge und Psyche zusammen zu denken und die Patienten in geeigneter Weise darauf anzusprechen. Schon allein mit dem Relativieren der oft übersteigerten Zukunftsängste und dem Aufzeigen und Zusagen von Behandlungsperspektiven können leidende Patienten entlastet werden. "Bereits geringe Maßnahmen in Form von zweimaliger Verhaltenstherapie können zu einer erheblichen Abnahme von Angst und Depression führen", so Kenn.

Mehr Aufmerksamkeit ist angesagt – bei Pneumologen und Psychologen

Apropos DGP-Kongress: Auch in Stuttgart gab es ein Symposium zum Thema "Lunge und Psyche". Ein erfreuliches Zeichen dafür, dass sich nun auch die institutionell vertretene Pneumologie den psychischen Komorbiditäten von Lungenerkrankten öffnet. Die sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel: Die Prävalenz von Angststörungen und Depressionen bei COPD-Patienten wird auf jeweils etwa 40% veranschlagt. Eine subklinisch erhöhte Angst und Depressivität finden sich bei 80%. Der Psychologe Dr. Daniel Keil (Bad Wildungen/Berlin) weist deshalb dazu auf, dass sich beide Seiten – Pneumologen und Psychologen – auf das Thema "stürzen" sollten.

Referenzen:

  1. Kenn K, Pfeifer M. Lunge und Psyche. Pneumologe 2016;13(3):153-5.
  2. Kenn K. Komorbidität mit Berührungsängsten? Angst und Depression bei COPD. Pneumo News 2016;8(3):35-8.