Liegt die hausärztliche Zukunft in der Prävention?

Bei der personalisierten Prävention waren wir im letzten Beitrag stehen geblieben und da knüpfen wir nochmal an: Wie schaffen wir es, möglichst viele Diabetes-Erkrankungen erst gar nicht entstehen zu lassen?

Bei der personalisierten Prävention waren wir im letzten Beitrag stehen geblieben und da knüpfen wir nochmal an: Wie schaffen wir es, möglichst viele Diabetes-Erkrankungen erst gar nicht entstehen zu lassen?

DDG: Mehrwertsteuersystem "Ampel Plus" gefordert

Die Funktionäre von Deutscher Diabetes Gesellschaft (DDG) und Partner-Organisationen fordern zum Weltdiabetestag die Steuerfreiheit für Obst und Gemüse und Steuerzuschläge für dickmachende Softdrinks (von 19 auf 29%). Laut DDG-Pressemitteilung bietet ein "Ampel plus"-Mehrwertsteuersystem die "erfolgversprechendsten und politisch realistischsten" Aussichten:

Schon vor einigen Monaten wurde beim 1. Deutschen Zuckerreduktionsgipfel, veranstaltet vom AOK-Bundesverband, in diese Kerbe gehauen. Ob’s was bringt, wird man sehen. Erstmal müssen ja die jamaikanischen Koalitionäre zueinanderfinden, bevor mit neuen gesetzgeberischen Aktivitäten gerechnet werden kann. Diese schaffen dann im allerbesten Fall etwas günstigere Rahmenbedingungen, aber sicher keine handfeste, individuelle Problemlösung.

Und was tun in den Niederungen der praktischen Problemlösung?

Um die müssen wir uns nach wie vor außerhalb des Bundestages, nämlich im täglichen Leben kümmern. Beispielsweise in der Hausarztpraxis: In einem Beitrag der Info Diabetologie1 hat der Präventionsexperte Prof. Peter Schwarz (Dresden) nicht die Politiker, sondern die hausärztlichen Kollegen zum Umdenken angeregt.

Schwarz bespricht darin eine britische "Let's Prevent Diabetes"-Studie2, die der Frage nachging, wie sich Präventionsforschung effektiv in der hausärztlichen Versorgung umsetzen lässt. Es sollte ein Risiko-Score für das Prädiabetes-Screening und ein strukturiertes Interventionsprogramm zum Lebensstil- und Verhaltenswandel entwickelt werden. Das Ziel: die Progression von Diabetes-Vorstufen zur manifesten Zuckerkrankheit erfolgreich verhindern.

"Let's Prevent Diabetes": Klappt das in der Hausarztpraxis?

Die Untersuchung wurde als Screening-Studie begonnen und als cluster-randomisierte Interventionsstudie fortgesetzt. Es beteiligten sich 44 Hausarztpraxen der englischen Grafschaft Leicestershire. Knapp 18.000 Personen wurden gescreent und anhand des Risiko-Scores zu einem oralen Glukosetoleranztest (OGTT) eingeladen. Nur knapp jeder Fünfte kam dieser hausärztlichen Empfehlung nach. Bei einem Viertel der OGTT-Teilnehmer wurde ein Prädiabetes identifiziert.

Diese 880 Patienten, die in die Interventionsstudie aufgenommen wurden, waren zu zwei Drittel männlich und im Durchschnitt 64 Jahre alt. Im Interventionsarm wurden eine sechsstündige strukturierte Gruppenschulung, ein jährlicher Auffrischungskurs und regelmäßiger Telefonkontakt angeboten. Im Vergleich zum Studienarm mit Standardversorgung hielt sich der Aufwand also in Grenzen. Die Nachbeobachtung lief über drei Jahre.

Eher geringer Effekt, aber kosteneffektiv

Die Ergebnisse: Etwa 23% der Teilnehmer nahmen an keiner einzigen Schulung teil, während 29% alle Interventionsstunden absolvierten. 131 Teilnehmer, also fast 15%, entwickelten eine Diabetes-Erkrankung. Für die Interventionsgruppe ergab sich ein um 26% reduziertes Diabetesrisiko, das allerdings nicht signifikant war. Mit statistischer Signifikanz verbesserten sich dagegen HbA1c, Lipidprofil, Bewegungsverhalten und Lebensqualität der Schulungsteilnehmer.

Hingewiesen wird auch auf die Kosteneffektivität der Maßnahme: Pro Patient generierte die Intervention bei Kosten von ca. 200 Euro über drei Jahre 0,046 qualitätsadjustierte Lebensjahre. Das ist besser als nichts.

In seinem Kommentar fasst der Endokrinologe Schwarz die in der Studie beleuchteten Aspekte der praktischen Diabetes-Prävention zusammen:

Das Produkt "Prävention" ist kundenorientierter zu denken und zu entwickeln

Und was soll man damit als Arzt nun anfangen? Schwarz schlägt vor, Interventionen zur Diabetes-Prävention mehr als Verbraucherprodukt zu betrachten denn als medizinische Maßnahme. Auf Stigmatisierung in der Arztpraxis durch ein medizinisches Risiko haben Patienten keine Lust, auf eine intuitive Bedürfnisbefriedigung nach Interessenslage (z. B. an Bewegung oder Ernährung) schon eher. Tatsächlich ist hier ein Umdenken nötig zugunsten von Angeboten, "die attraktiv sind und minimal invasiv einen gesunden Lebensstil unterstützen". Der Patient ist auch Konsument, der in kurzer Zeit eine Verbesserung seiner Lebensqualität erwartet. Fehlgeleitetes Wunschdenken?

Nicht unbedingt. Mit der Entwicklung von E-Health-, M-Health- und Smart-Health-Produkten verändert sich nicht nur das Angebotsspektrum, sondern auch das Konsumenten- bzw.  Patientenverhalten. "Applications zur Diabetesprävention sind eine Alternative zur Hausarztpraxis. Der Arzt kann ein sehr glaubwürdiger Vermittler solcher Maßnahmen sein", schreibt Schwarz. Er postuliert einen "Paradigmenwechsel im Bereich Prävention von chronischen Erkrankungen" in den nächsten Jahren, der "auch neue Geschäftsmodelle für Unternehmer, Krankenkassen und uns als Ärzte" bringen wird: "Vielleicht ist die Zukunft eine hausärztliche E- oder M-Prävention."

Aktuelle Expertenbeiträge zu diesem Thema lesen Sie jede Woche neu im esanum Diabetes Blog.

Referenzen:
1. Schwarz PEH. Wie klappt Prävention in Hausarztpraxen besser? Info Diabetologie 2017;11(2):26-7.
2. Davies MJ et al. A community based primary prevention programme for type 2 diabetes integrating identification and lifestyle intervention for prevention: the Let's Prevent Diabetes cluster randomised controlled trial. Prev Med 2016;84:48-56.