Immuntherapie bei Urothelkarzinom: die Rolle des Darmmikrobioms

Der Einfluss des Mikrobioms auf Entstehung, Verlauf und Therapieansprechen zahlreicher Erkrankungen rückt zunehmend in den Fokus. Dysbiosen, häufig durch Antibiotika bedingt, wirken sich ungünstig auf den Therapieerfolg von Immuntherapien aus – wie diverse neue Studien zeigen.

Der Einfluss des Mikrobioms auf Entstehung, Verlauf und Therapieansprechen zahlreicher Erkrankungen rückt zunehmend in den Fokus. Dysbiosen, häufig durch Antibiotika bedingt, wirken sich ungünstig auf den Therapieerfolg von Immuntherapien aus – wie diverse neue Studien zeigen.

In einigen vergangenen Beiträgen haben wir uns bereits mit der Wichtigkeit der residenten Flora (oder Störungen selbiger) für Tumorgenese und -progress beschäftigt und auch damit, wie Bakterien, Pilze und Hefen das Therapieansprechen, etwa auf Immuntherapien,  beeinflussen können. Ständig kommen praxisrelevante Erkenntnisse hinzu, weswegen wir das Thema heute wieder einmal aufgreifen wollen.

Dysbiose verschlechtert das Überleben von Urothelkarzinom-PatientInnen nach Anti‑PD-L1-Therapie

Veränderungen von Funktion und Zusammensetzung des Mikrobioms sind mit Resistenzen auf Chemo- und Immuntherapien assoziiert und negative Effekte von Antibiotika sind inzwischen für diverse Tumorarten beschrieben, beispielsweise für Neoplasien des Urogenitalsystems, für fortgeschrittene Melanome und nichtkleinzellige Lungenkarzinome (NSCLC).1 Diese Effekte scheinen viele Klassen von Antibiotika zu betreffen (typischerweise Betalaktame, Fluorchinolone, Makrolide).1-3 Eine Supplementierung spezifischer Bakterienspezies könnte dagegen das Ansprechen auf Therapien "sanieren".4
So konnte in einer kleinen Proof-of-Concept-Studie durch fäkalen Mikrobiomtransfer (FMT) von Melanom-PatientInnen mit vollständigem Therapieansprechen auf PatientInnen mit primärer Resistenz auf PD‑1‑Blockade ein objektives Ansprechen hergestellt werden.5

Ein vor wenigen Tagen in der Fachzeitschrift Nature erschienener Beitrag zeigt anhand gepoolter Daten aus zwei Zulassungsstudien zu Atezolizumab beim Urothelkarzinom (n = 847) auf, dass der Einsatz von Antibiotika bei PatientInnen mit fortgeschrittenem und metastasiertem Urothelkarzinom mit einem signifikant schlechteren progressionsfreien Überleben und Gesamtüberleben nach Therapie mit Atezolizumab assoziiert war.1 Der negative Effekt war verstärkt in Subgruppen mit PD‑L1-Expression im Tumor und myeloiden Zellen zu beobachten.

Antibiotika-Einsatz bei diesen PatientInnen sollte streng abgewogen und gegebenenfalls bis zum Beginn der Immuntherapie aufgeschoben werden

Hierbei scheinen der Zeitpunkt des Antibiotikaeinsatzes und die Therapiemodalität der onkologischen Grunderkrankung entscheidend zu sein. Abträgliche Effekte auf das Therapieansprechen wurden zumeist bei einer Antibiotikagabe innerhalb der 30 Tage vor Beginn einer Krebstherapie beobachtet und scheinen relativ spezifisch bei Immuntherapien ins Gewicht zu fallen.1-3 Bei PatientInnen mit Nierenzell- und Urothelkarzinomen, die mit Rapamycin und dessen Analoga, VEGF‑Inhibitoren oder Chemotherapie behandelt wurden, waren keine offenkundigen schädlichen Auswirkungen von Antibiotika nachweisbar.
Die Autoren schlagen daher vor, die Indikation für eine antibiotische Behandlung sorgsam zu prüfen und falls diese unbedingt erforderlich ist, sie entweder bis zur ersten Gabe der Immuntherapie zurückzustellen oder sogar den Beginn der Immuntherapie zu verschieben. Potenzielle Strategien bei bereits bestehender Dysbiose könnten Fäkaltransplantationen, Pro- und Präbiotika sein.

Antibiotika erhöhen schädliche Darmbakterien

Zahlreiche Arbeiten haben sich in den vergangenen Jahren damit beschäftigt, warum die Darmflora für das Gleichgewicht zwischen Immunität und Toleranz gegenüber Krebszellen eine so kritische Rolle spielt. Antibiotika beeinträchtigen die Zusammensetzung des Mikrobioms und damit die Homöostase der Darmbarriere, die Funktion der Epithelzellen und das lokale Immunsystem.
In einem früheren Beitrag zu Immuntherapien  hatten wir auch erörtert, dass etliche Analysen auf die Bedeutung von nützlichen und schädlichen Darmbakterien hindeuten, deren Anwesenheit oder relative Häufigkeit mit längerem oder kürzerem Überleben einhergeht.6
Eine Antibiotika-Gabe verschiebt die Zusammensetzung des Mikrobioms oft in eine ungünstige Richtung, insbesondere zu Bakterien wie Clostridium hathewayi hin, die zu einem mikrobiologischen Profil gehören, welches mit Immuntoleranz gegenüber Tumorzellen und frühen Rezidiven bei Patienten mit fortgeschrittenem Nierenkrebs in Verbindung gebracht wurde.1,7

Das Mikrobiom als Biomarker?

Die Autoren des aktuellen Nature-Artikels wollen mit ihren Ausführungen vor allem eines unterstreichen: zu den Mechanismen hinter Immuntherapie-Resistenzen gehören nicht nur die Tumorgenetik, sondern auch die Tumormikroumgebung, die T‑Zell-Fitness, der Metabolismus und Alterationen der Darmflora. "Angesichts des niedrigen therapeutischen Indexes von Immun-Checkpoint-Inhibitoren (das bedeutet: die Risiken von ICIs übersteigen ihren zu erwartenden Nutzen in Kombinationstherapien) braucht es prädiktive Marker zur Stratifizierung der Wahrscheinlichkeit eines Therapieansprechens. Die Expression von CD274 (welches für PD‑L1 kodiert) und die Tumormutationslast sind nützliche, aber noch lange nicht perfekte Prädiktoren für einen langfristigen Nutzen einer ICI-Therapie bei PatientInnen mit Urothelkarzinom."1

Die Autoren leiten aus alldem einen dringenden Bedarf für prospektive Studien ab. Sie halten es für möglich, dass mikrobielle Infektionen und Antibiotika-Einnahme als Surrogatparameter geschwächte oder immunkompromittierte PatientInnen anzeigen könnten. Aus den oben genannten Daten der zwei Zulassungsstudien zu Atezolizumab beim Urothelkarzinom ging auch hervor, dass antibiotisch behandelte PatientInnen schlechtere ECOG‑Scores und niedrigere Hämoglobin-Werte aufwiesen als nicht antibiotisch behandelte.3 Ebenfalls denkbar wäre, dass Antibiotika die Immunantwort direkt stören und auf diesem Wege zum Versagen von Immuntherapien führen.

Referenzen:
1. Derosa, L. & Zitvogel, L. Antibiotics impair immunotherapy for urothelial cancer. Nature Reviews Urology 1–2 (2020) doi:10.1038/s41585-020-0373-1.
2. Derosa, L. et al. Negative association of antibiotics on clinical activity of immune checkpoint inhibitors in patients with advanced renal cell and non-small-cell lung cancer. Ann. Oncol. 29, 1437–1444 (2018).
3. Hopkins, A. M., Kichenadasse, G., Karapetis, C. S., Rowland, A. & Sorich, M. J. Concomitant Antibiotic Use and Survival in Urothelial Carcinoma Treated with Atezolizumab. European Urology 78, 540–543 (2020).
4. Cheng, W. Y., Wu, C.-Y. & Yu, J. The role of gut microbiota in cancer treatment: friend or foe? Gut 69, 1867–1876 (2020).
5. Youngster, I. et al. 90. Fecal Microbiota Transplantation in Metastatic Melanoma Patients Resistant to Anti-PD-1 Treatment. Open Forum Infect Dis 6, S7 (2019).
6. Routy, B. et al. Gut microbiome influences efficacy of PD-1–based immunotherapy against epithelial tumors. Science 359, 91–97 (2018).
7. Mohiuddin, J. J. et al. Association of antibiotic exposure with survival and toxicity in patients with melanoma receiving immunotherapy. J Natl Cancer Inst doi:10.1093/jnci/djaa057.