Patient Blood Management: Zukunft der Transfusionsmedizin?

Bluttransfusionen haben sich als lebensrettende Maßnahme fest etabliert – doch sind nicht immer sinnvoll. Was ändert sich durch Patient Blood Management?

Bluttransfusion: eine übermäßig genutzte Behandlungsmethode?

Von allen Patienten, die ins Krankenhaus eingeliefert werden, erhalten 10 % eine Bluttransfusion. Doch längst nicht in allen Fällen, so Domenico Girelli1, Internist und Notfallmediziner am Universitätskrankenhaus Verona, ist die Transfusion überhaupt notwendig. So wurde bereits 2011 im Rahmen eines Reviews2 zur Eignung von Transfusionen durch interdisziplinäre Fachleute nachgewiesen:

Werden Bluttransfusionen allerdings dort verwendet, wo eine Indikation sicher gegeben ist, habe dies enorme gesundheitliche und wirtschaftliche Vorteile. Im Rahmen einer kalifornischen Studie3 konnte laut Girelli nachgewiesen werden, dass durch zielgerichtete Anwendung bei Patienten, die Bluttransfusionen erhielten, die Sterblichkeit von 5,5 % auf 3,4 % und die Aufenthaltszeit im Krankenhaus von 10,1 auf 6,2 Tage reduziert werden konnte. Obendrein sparte das Krankenhaus durch 24 % weniger Bluttransfusionen im Jahr 1,6 Millionen Dollar. 

Was ist Patient Blood Management?

Die Definition laut WHO: "Patient Blood Management ist ein patientenorientierter, systematischer, evidenzbasierter Ansatz zur Verbesserung der Patientenergebnisse durch die Verwaltung und Konservierung von Eigenblut bei gleichzeitiger Förderung der Patientensicherheit und Eigenverantwortung." Durch Patient Blood Management, so Girelli, ließe sich ein übermäßiger Gebrauch von Bluttransfusionen hingegen von Anfang an vermeiden. Durch PBM verschiebe sich der Fokus weg von Blutprodukten und hin zum Patienten. Bluttransfusionen sollen vermieden werden, indem das Blut von Patientinnen und Patienten so gut wie möglich beobachtet wird und erhalten bleibt. 

Laut Girelli ist es dabei wichtig, zwischen der optimalen Nutzung von Blutbestandteilen und PBM zu differenzieren. Beim ersten Ansatz handele es sich meistens um eine von den Laborergebnissen abhängige Monotherapie zur Korrektur von Laborwerten (Hämoglobin, INR, Thrombozytenzahl). Patient Blood Management hingegen ziele konkret darauf ab, modifizierbaren Risikofaktoren für 

Anämie (Anemia & iron deficiency), 

Blutverlust (Blood loss) und 

Gerinnungsstörungen (Coagolupathy with bleeding) 

– dem "tödlichen ABC" hinsichtlich Risikofaktoren unter hospitalisierten Patienten – entgegenzuwirken, "lange bevor eine Bluttransfusion überhaupt in Betracht gezogen wird." Hier besteht akuter Handlungsbedarf: WHO-Schätzungen gehen von weltweit über 2,9 Milliarden Menschen mit Anämie und über 600 Millionen Menschen mit Blutverlust sowie Blutungsstörungen aus. 

Drei Säulen des Patient Blood Managements 

Bluttransfusionen seien selbstverständlich notwendig und hilfreich, so Girelli, aber in vielen Fällen mit Risiken verbunden: sowohl durch die Transfusion – etwa AB0-Unverträglichkeit, anaphylaktischer Schock oder akute hämolytische Transfusionsreaktionen – als auch indirekter Natur, etwa durch die Entwicklung eines Non-Hodgkin-Lymphoms oder einer Infektion im Krankenhaus. Hier soll Patient Blood Management durch drei Säulen entgegensteuern:

  1. Erkennung und Behandlung von Anämie und Eisenmangel
  2. Minimierung des Blutverlustes und Gerinnungsoptimierung
  3. Wirksame Nutzung und Optimierung der patientenspezifischen physiologischen Toleranz der Anämie

PBM sei keinesfalls nur für den Einsatz bei Patienten in der Chirurgie geeignet. Genau so sinnhaft sei die Nutzung des Ansatzes bei älteren hospitalisierten Patienten, die besonders häufig von Anämie betroffen sind, schwangeren Frauen oder Frauen mit starken Regelblutungen sowie pädiatrischen Patienten. 

Im Rahmen der weltweit größten Studie zum Nutzen von Patient Blood Management4 mit über 600.000 Teilnehmenden konnten unter anderem folgende Erkenntnisse gewonnen werden:

PBM: Interdisziplinäre Expertise erforderlich

Viele Fachgesellschaften legen laut Girelli Wert darauf, Patient Blood Management zum neuen Versorgungsstandard zu machen. Auch die WHO ruft ihre Mitgliedstaaten dazu auf, nach Möglichkeit PBM in den Praxisalltag zu etablieren, sieht allerdings noch einige Hürden zu überwinden:

Der Referent betont eindringlich: Für die gelungene Implementierung von Patient Blood Management ist interdisziplinäre Zusammenarbeit unerlässlich – von Fachleuten aus der Hämatologie, die über Kernkompetenzen rund um Anämie, Gerinnungsstörungen oder Transfusionsmedizin verfügen, über Anästhesiologen hin zu Chirurgen. 

Fazit: Hämatologen als Schlüssel zum Erfolg von PBM

Dr. Girelli fasst zusammen:

Quellen:
  1. Girelli, Dr. Domenico: WHO Policy Brief: The urgent need to implement Patient Blood Management. In: Patient Blood Management: From WHO policy to practical applications; EHA Congress 2023, 09. Juni 2023, 13.30-13.50 Uhr.
  2. Shander A. et al.; International Consensus Conference on Transfusion Outcomes Group. Appropriateness of allogeneic red blood cell transfusion: the international consensus conference on transfusion outcomes. Transfus Med Rev. 2011 Jul;25(3):232-246.e53. doi: 10.1016/j.tmrv.2011.02.001. Epub 2011 Apr 17. PMID: 21498040.
  3. Anthes, E. Evidence-based medicine: Save blood, save lives. Nature 520, 24–26 (2015). https://doi.org/10.1038/520024a
  4. Leahy MF et al.: Improved outcomes and reduced costs associated with a health-system-wide patient blood management program: a retrospective observational study in four major adult tertiary-care hospitals. Transfusion. 2017 Jun;57(6):1347-1358. doi: 10.1111/trf.14006. Epub 2017 Feb 2. PMID: 28150313.