Der Mensch als biologische Ressource bei der Organspende?

Jeden ersten Samstag im Juni ist internationaler Tag der Organspende. Doch gerade in Deutschland liegt die Spendenbereitschaft bei weitem nicht auf gewünschtem Niveau. Warum ist das so?

Steigende Zahl an Menschen mit Diabetes wird in Tragödien enden

Der eigene Tod ist für keinen Menschen ein angenehmes Thema, doch wird es hinsichtlich des demografischen Wandels unserer Zeit ein unerlässliches Thema werden. Die Zahlen und Fakten sprechen für sich, wenn es darum geht, die Organspendebereitschaft der deutschen Bevölkerung zu bewerten. Im Jahr 2020 gab es lediglich 913 Organspender für 9.200 bedürftige Personen. Mit der stetig steigenden Anzahl an Patientinnen und Patienten mit Diabetes mellitus nimmt auch die Anzahl an Folgeerkrankungen wie dem chronischen Nierenversagen zu. Die Lebenszeitprävalenz für eine diabetische Nephropathie liegt bei 30-40%. Die Inzidenzrate für eine chronische RRT ist bei Menschen mit Diabetes rund 6 mal höher als bei Personen ohne Diabetes. "Die Niere ist das am häufigsten für eine Transplantation benötigte Organ."

Neben dem Diabetes mellitus ist die arterielle Hypertonie einer der häufigsten Ursachen für die Notwendigkeit einer Nierentransplantation.  Die relativ geringe Spendenbereitschaft für die postmortale Organspende in Deutschland machte im Jahr 2021 475 Lebendorganspenden notwendig. Das bedeutet, dass 24% der gespendeten Nieren in diesem Jahr von Lebendspendern stammten und nur etwa 30% der betroffenen Menschen mit einem Transplantat versorgt werden konnten. 70% der Betroffenen verblieben auf der Warteliste.4-7

Die deutsche Psyche beeinflusst die Spendenbereitschaft wesentlich 

Die Kampagnen zur Organspende haben die Spendenbereitschaft nicht wesentlich verändert im letzten Jahrzehnt. Dies gab ein Schreiben (Band 9: Die Herausforderung annehmen) der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bekannt. Eine Widerspruchslösung, wie in der Schweiz, konnte in Deutschland nicht durchgesetzt werden. 

Dass diese Thematik Kontroversen aufwirft, ist nicht verwunderlich, denn die biologischen Ressourcen eines Menschen sollten als freiwilliger Akt zur Verfügung gestellt werden. Vielleicht ist die Vorgeschichte der deutschen Nation ein Grund dafür, dass eine tief schlummernde Angst in den Menschen festsitzt. In den dunklen Zeiten der Nazidiktatur wurde der Mensch als biologische Ressource ausgebeutet: Frauen als Gebärmaschinen, Menschen mit einer nichtdeutschen Herkunft als Zwangsarbeiter und wir können uns alle aus dem Geschichtsunterricht daran erinnern, welche grausamen Menschenversuche verübt worden sind. Dies könnte einer der Gründe für die Angst der deutschen Bevölkerung sein, den eigenen Körper einer anderen Person post mortem zur Verfügung zu stellen. 

Hinzu kommt, dass sich niemand freiwillig mit der eigenen Sterblichkeit beschäftigt, während ein Organspendeausweis auf genau diese aufmerksam macht. Will man die geringe Spendenbereitschaft der deutschen Bevölkerung ergründen, so muss man sicherlich viel tiefer in der Psyche der Menschen graben und die gesellschaftlichen Strukturen ergründen. Jemand, der sein Leben in vollen Zügen leben kann und jeden Tag zu schätzen gelernt hat, fürchtet den Tod weniger als eine Person, die bis zur Rente pausenlos durcharbeitet, um dann festzustellen, wie das Leben an einem vorbeigezogen ist. 

Keine Organspende wegen zu geringem Vertrauen in die Medizin? 

Ein anderer Grund für die geringe Spendenbereitschaft könnte ein fehlendes Vertrauen in die medizinische Versorgung nach einem Unfall sein. Möglicherweise fürchtet manch einer, dass ein Organspendeausweis einem Todesurteil gleichkommen könnte und dass das intensivmedizinische Team im Krankenhaus um das Leben des verunglückten Menschen mit Organspendeausweis in einem geringeren Ausmaß kämpfen würde. Ist diese Angst unbegründet? Wie sehr wird um das Leben älterer Patientinnen und Patienten gekämpft bzw. wie schnell werden sie aufgegeben? Ich denke, jeder kennt eine Geschichte aus seinem persönlichen Umfeld, in der das Lebensalter eine Rolle bei der medizinischen Versorgung gespielt hat. Andererseits gibt es auch andere Fälle, in denen zu wenig intensivmedizinische Ressourcen für Kinder zur Verfügung standen, da sie bereits durch weitaus ältere Patienten belegt waren. 

Ethik und Moral, Psyche und Ängste, das Vertrauen in die Medizin… All das spielt sicher eine Rolle, wenn es darum geht, die geringe Spendenbereitschaft in Deutschland zu ergründen. Den Patientinnen und Patienten auf der Warteliste bringt dies recht wenig, doch können wir Menschen nicht aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit stillschweigend als menschliche Ressource verwenden, oder etwa doch? 

Referenzen:
  1. https://idw-online.de/de/attachmentdata98712 
  2. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/134821/Widerspruchsloesung-bei-Organspende-rueckt-erneut-ins-Blickfeld#:~:text=Widerspruchslösung%20war%20gescheitert&text=Einer%20der%20Entwürfe%2C%20den%20Lauterbach,zu%20Lebzeiten%20ausdrücklich%20zugestimmt%20hat
  3. https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/medizin-und-forschung/transplantationsmedizin/willensaeusserung-zur-spende-von-organen-geweben-zellen/willensaeusserung-transplantationsmed.html#:~:text=Widerspruchslösung%3A%20Neue%20Regelung%20frühestens%20ab,Organe%20und%20Gewebe%20spenden%20will.
  4. https://www.organspende-info.de/zahlen-und-fakten/#:~:text=Etwa%209.200%20Menschen%20stehen%20in,mit%20932%20Organspenderinnen%20und%20Organspendern.
  5. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/154765/umfrage/organspender-pro-mio-einwohner-in-deutschland/
  6. https://www.gelbe-liste.de/diabetologie/dialyse-haeufiger-bei-diabetes
  7. https://www.organspende-info.de/organspende/transplantierbare-organe/nierentransplantation/
  8. https://www.deutschlandfunk.de/widerspruchsloesung-bei-der-organspende-schweigen-als-100.html
  9. https://www.suedkurier.de/ueberregional/rundblick/die-20-reichsten-laender-der-welt-im-ranking;art1373253,11520318