Mein Haus, meine Regeln!

Gewalt gegen medizinisches Personal nimmt zu – auch in ruhigen Stadtvierteln. In ihrer neuen Kolumne berichtet Dr. Petra Sandow über den steigenden Druck auf Praxisteams und die Notwendigkeit, Grenzen zu setzen.

Gewalt in Arztpraxen: Eine wachsende Herausforderung

Man hört in letzter Zeit öfter von Gewalt gegenüber Ärzten und medizinischem Personal in Krankenhäusern und Praxen. Das ist furchtbar. Ich selbst habe das Glück, in einem eher ruhigen, gutbürgerlichen Viertel Berlins zu praktizieren, wo es eher selten zu wirklich aggressivem Verhalten kommt. Doch die Stimmung hat sich auch bei unserer Patientenschaft geändert. Das spürt man an zunehmender Ungeduld, am Druck auf die Medizinischen Fachangestellten, die am besten alles sofort und ohne Wartezeit leisten sollen. Ich sehe, dass die Anspruchshaltung vieler Menschen zugenommen hat. In ihren Augen haben wir zu liefern, und zwar schnell - und alles zu leisten, was sie sich nur vorstellen.

Anspruchsdenken und Lieferengpässe erhöhen den Druck

Da ist es natürlich zusätzlich problematisch, dass wir viele Lieferengpässe von Medikamenten haben. Den Unmut darüber bekommen wir obendrein ab. Denn manche denken, dass wir daran schuld sind, wenn sie ihr Bluthochdruckmittel in der Apotheke nicht bekommen. Dann kommen sie wutschnaubend zu uns zurück, lassen bei uns Dampf ab und motzen herum: Was haben Sie mir denn da aufgeschrieben? Das gibt's ja gar nicht! Sie müssen doch schließlich wissen, dass es das Medikament nicht gibt. Es ist natürlich unangenehm, dass Patienten dann noch einmal zu uns zurück kommen müssen. Das gilt ja auch für Schmerzmittel und Antibiotika.

Psychische Belastungen und angespannte Patientenlage

80 Prozent der Patienten in den Hausarztpraxen haben ohnehin  gar keine körperliche Erkrankung. Sie sind erschöpft, depressiv, werden gemobbt, haben Schlafprobleme, Angststörungen. Das ist nach Corona massiv angestiegen. Zu uns kommen also eher die Mühsamen und Beladenen. Klar, dass da der Ton rauer wird.

Der Frust der Menschen im Allgemeinen ist groß und irgendwo müssen sie sich Luft machen. Daher trifft es oft die Arztpraxen und dort insbesondere das Vorzimmer. 

Unterstützung des Teams und klare Kommunikation

Unsere Mitarbeiterinnen müssen ganz viel abpuffern und sind dann abends oft ziemlich frustriert. Sie geben sich so viel Mühe und tun alles, was sie können - und werden regelmäßig verbal geprügelt. 

Es treibt mich um, was meine Mitarbeiterinnen aushalten müssen, die für all das, was nicht gut läuft, angegriffen werden - wodurch natürlich die allgemeine Arbeitszufriedenheit sinkt. Man muss sich als Chefin immer etwas überlegen, um sie bei Laune zu  halten.

Grenzen setzen und Verantwortung übernehmen

Da gibt es dann von der Chefin mittags ein schönes Stück Kuchen oder wir gehen zusammen essen. Wir versuchen als Ärzte, ein paar Streicheleinheiten zu verteilen. Wir besprechen das natürlich auch alles mit den Mitarbeiterinnen. 

Und man muss auch mit dem einen oder anderen Patienten Klartext sprechen, Grenzen setzen und erklären: Hier ist jetzt Schluss, das war zu viel! Die Ärztin hat zum Glück immer noch genug Autorität, sie kann sich entschieden vor ihre Mitarbeiter stellen. Wenn ich jemandem tief in die Augen schaue und sage: So läuft das bei mir nicht in der Praxis, dann gibt es in der Regel keine Gegenwehr. Das Problem ist allerdings, dass wir die verbalen Übergriffe nicht unmittelbar mitbekommen. Wir sind im Sprechzimmer und draußen läuft es gerade ungut. Wir erfahren meistens erst hinterher, was vorgefallen ist. Dann muss man sich die Betreffenden eben beim nächsten Mal greifen und deutlich ansprechen. 

Wir hatten auch schon Gruppen junger Männer in der Praxis, die kein Benehmen gelernt hatten, die dachten, ihnen gehört die Welt. Die haben laut telefoniert, haben Mitpatienten angepöbelt. Da bin ich hingegangen und habe gesagt: Raus hier! Ihr habt hier nichts zu suchen! Das klappt. Ich habe verinnerlicht: Mein Haus, meine Regeln. Und das lebe und vermittle ich so. Ich habe nie Angst in der Praxis. 

Es kam auch schon vor, dass ich gesagt habe: Ich denke, es ist an der Zeit, dass sie sich einen neuen Hausarzt suchen. Sie sind offensichtlich mit uns so unzufrieden. Suchen Sie sich bitte jemanden, wo Sie sich wohler fühlen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es dazu nicht viel Mut braucht. Es ist eine Frage der Körpersprache. Gerader Blick und gespannte Schultern und die Überzeugung, im Recht zu sein, das genügt schon. Der eigene Körper entscheidet, dass man in einer Situation das Alphatier ist. Als Praxisinhaber hat man das lange eingeübt. Das gehört dazu, sonst hat man einen schlechten Stand in allen möglichen Situationen. Wer in einer Praxis den Hut aufhat, hat die Verantwortung und muss funktionieren. Alles nett aushandeln wollen, ist gut und schön,funktioniert aber oft nicht. 

Wer sich durch dieses Hochschulstudium gequält hat und Prüfungen abgelegt hat, trägt meist ein gewisses Selbstbewusstsein im Körper. Und wer merkt, dass das nicht genügt, braucht vielleicht einen Coach, der zeigt, wie das funktioniert. Das nützt nicht nur in der Praxis, sondern auch abends im Dunkeln auf der Straße. Meine Botschaft ist: Wer sich unsicher in unangenehmen Situationen fühlt, muss sich nicht schämen, sondern ein Coaching machen. Die Gesellschaft hat sich verändert. Damit müssen wir umgehen.
 

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Wer ist Dr. Petra Sandow?

Dr. med. Petra Sandow ist Fachärztin für Allgemeinmedizin mit dem Schwerpunkt Infektiologie. Sie studierte Humanmedizin in Berlin und Münster. Nach klinischer Tätigkeit in der Gynäkologie und Inneren Medizin ist sie seit mehr als 30 Jahren als Hausärztin in eigener Praxis in Charlottenburg niedergelassen.