Gendermedizin - ein wichtiger Schritt zur individualisierten Therapie

Präventive Maßnahmen sind essentiell für eine gesunde Herzfunktion. Dr. Ebru Yildiz erklärt in ihrer Kolumne, wie Gendermedizin die Herzgesundheit von Frauen verbessern kann.

Herzgesundheit: Mehr Bewusstsein bei Frauen nötig

"Frauenherzen schlagen anders" - das ist eine Initiative, die ich im zweiten Jahr mitgestalte. Entstanden ist die Initiative #GoRed aus der Herz-Hirn-Allianz, deren Ziel es ist, die Herz-Kreislauferkrankungen bis 2030 um 30 Prozent zu senken. Aktiv sind hier besonders auch die Healthcare-Frauen e.V.

Mein Zentrum, meine Tätigkeit in der Transplantationsmedizin, steht ja naturgemäß am Ende der Schlange beim Thema Herzgesundheit. Zu uns kommen die Patientinnen und Patienten mit den letzten Hoffnungen auf Lebensqualität und Lebensverlängerung. Wir haben leider viele Menschen, die darauf angewiesen sind und zu wenig Organe, um ihnen zu helfen. Und die Stellschraube kann nicht nur darin bestehen, mehr Organe zu generieren. Sondern ich schaue auch auf den Anfang dieser Schlange und überlege, was ich tun kann, damit weniger Patientinnen und Patienten zur Transplantation kommen müssen.

Mehr Prävention, um Organtransplantationen zu verhindern

Ich sehe also sehr drastisch, wie wichtig Prävention ist. Wir müssen ganz klar und prinzipiell mehr präventiv arbeiten und nicht als reine Reparaturmedizin wirken.

Zu diesem Zweck machen wir darauf aufmerksam, dass zwischen den Geschlechtern medizinische und anatomische Unterschiede bestehen, die auch bei Herzereigenissen zu jeweils anderen Symptomatiken führen. Das klingt einfach und logisch, aber historisch war es immer so, dass die Anatomie und die Pathophysiologie nur am männlichen Körper erforscht wurden. Die männliche Anatomie ist also weitgehend die Grundlage für alles. Und jetzt langsam verstehen wir: Mann ist nicht gleich Frau, so wie auch ein Kind kein kleiner Erwachsener ist. Mit unserer Initiative wollen wir mehr Aufmerksamkeit für diese Erkenntnis erzeugen. Adressat sind nicht nur die Ärzte, sondern vor allem die Allgemeinbevölkerung. Warum? Jeder muss selbst auch darauf achten und sensibilisiert sein.

Wenn jemand plötzlich draußen umfällt, steht nicht gleich der Arzt daneben, eher der Partner, ein Nachbar, eine Passantin. Und man selbst nimmt als erste die Symptome wahr. Aktuell wird der Herzinfarkt als schmerzhafter Druck in der Brust beschrieben - und daraufhin geht man zum Arzt. Aber Frauen können unspezifischere Symptome haben, wie Übelkeit oder eine Art Brennen im Brustbereich. Frauen übergehen das dann und denken vielleicht, das vergeht wieder. Der typische Schmerz kommt dann später auch noch, aber eben verzögert. Deswegen sollten Frauen wissen, welche typischen Symptome bei ihnen auftreten können. Es ist nun mal so, dass Menschen immer auf sich selbst am besten aufpassen.

Natürlich müssen auch die Ärztinnen und Ärzte bei unspezifischen Symptomen schnell schalten und den Herzinfarkt abklären. 

Zuerst dachte ich: Ach, schon wieder Gender!

Aber genderspezifische Medizin rückt erst jetzt in den Fokus - auch in der Forschung. Wir wissen hier noch längst nicht alles. Und auch nicht alle Ärztekolleginnen- und kollegen sind hier gut genug informiert. Da haben wir alle miteinander Nachholbedarf. Ich schließe mich da ein. In meinem Studium habe ich überhaupt nichts zu Gendermedizin gehört. Als ich das Stichwort später zum ersten Mal hörte, dachte ich zunächst: Ach, schon wieder "Gender". Bis ich dann verstanden habe, was sich hinter dem Begriff Gendermedizin wirklich versteckt. Vielleicht sollte man das Ganze auch anders benennen - denn es geht dabei nicht um Feminismus. Es geht wirklich um Anatomie, Physiologie, Diagnostik, Therapie. Es geht um menschengemäße Medizin, auch mehr und mehr um individualisierte Medizin. Auch der Begriff interkuturelle Medizin kann ja missverstanden werden. Deswegen spreche ich lieber von Diversity in Health. Auch da geht es um individualisierte Medizin. Man muss jeden Menschen für sich ansehen. Das klappt aber nicht. Dafür hat unser Gesundheitssystem nicht die entsprechenden Ressourcen. Also müssen wir Cluster bilden. Und hier ist die Gendermedizin der erste Schritt in die richtige Richtung zur individualisierten Medizin. Natürlich müssen wir die Frauen noch weiter und genauer unterteilen. Frauen vor oder nach der Menopause, Hausfrauen, Karrierefrauen. Dem stehen begrenzte Ressourcen gegenüber. Deswegen engagieren wir uns bei #GoRed ehrenamtlich, um das voranzutreiben. 

Wir haben folgende Forderungen an die Politik gestellt: Integration von geschlechtsspezifischer Medizin in Aus- und Weiterbildung - das ist eine der wichtigsten Forderungen. Bessere Studien zu diesem Thema und damit die Schaffung von mehr Evidenz. Eine jährliche Herz-Vorsorge für Frauen ab 40 Jahren. Stärkung der individuellen Frauen Gesundheitskompetenz.

Frauenherzen sind kleiner

Um konkret beim Thema Herz zu bleiben: Für Frauen ist es schwieriger, ein passendes Organ zu finden, weil sie eben kleiner sind. Ähnliches gilt bei den Überbrückungstherapien, dem Linksherz-Unterstützungssystem, dem LVAD. Auch dieses ist in der Regel standardmäßig auf den Mann zugeschnitten und für eine Frau zunächst oft zu groß - sodass nachjustiert werden muss. Daran wird gearbeitet. Das Problem ist immerhin erkannt.

Wir wollen weiter zur Education in der Bevölkerung anregen und arbeiten an einem entsprechenden Konzept. Nächstes Jahr im Februar möchten wir es vorlegen - auch im Sinne der Diversity in Health, um Frauen differenzierter ansprechen zu können, um der individualisierten Medizin ein bisschen näher zu kommen.

Kurzbiographie Ebru Yildiz

Dr. med. Ebru Yildiz leitet seit 2019 das Westdeutsche Zentrum für Organtransplantation in Essen. Die Fachärztin für Innere Medizin und Nephrologie hat Zusatzweiterbildungen in der Transplantationmedizin und der internistischen Intensivmedizin.