Das darf nicht wahr sein: Die Fleißigen werden bestraft

Wieder einmal hat ein Brief von der Kassenärztlichen Vereinigung bei mir und Kolleginnen für Aufregung gesorgt. Und wir Betroffenen sind alle, vorsichtig ausgedrückt, ein bisschen böse.

Das bürokratische Durcheinander während der Pandemie

Es geht um die Abrechnungen von 2020, die derzeit geprüft werden. Es handelt sich, wie uns allen vor Augen steht, um das erste Corona-Jahr. In der Hochkonjunktur der Pandemie, wir erinnern uns gut, ging alles erstmal sehr durcheinander. Es war zugleich auch das erste Jahr, in dem die Prüfmodalitäten verändert wurden. Bis dahin gab es sogenannte Richtgrößen mit Vorgaben dafür, wie viel eine Fachgruppe ausgeben darf. Ab 2020 wurden Durchschnittswerte als Maßstab eingeführt. Das heißt natürlich: Wenn alle viel verschreiben, haben wir einen hohen Durchschnitt, wenn alle wenig verschreiben, senkt das den Durchschnitt.

Mehrarbeit in der Allgemeinmedizin

Nun hatten 2020 viele Praxen geschlossen. Andere haben ganz wenige Patienten genommen. Fachärzte haben kaum Termine vergeben. Einfach, weil alle Angst vor einer Infektion hatten. Die Folge: In die Allgemeinmedizin kamen plötzlich viele Fälle, die wir sonst gar nicht sehen, gar nicht behandeln. Das waren Dinge, die nicht unbedingt unsere Aufgaben sind. Aber irgendjemand musste es ja machen! Schlaganfallpatienten, die keinen Termin beim Neurologen bekamen, brauchten ihre Verordnungen, zum Beispiel für die Physiotherapie oder Sprachtherapie. Brustkrebspatientinnen benötigten Lymphdrainage, auch Patienten mit multipler Sklerose waren aufgeschmissen, wenn sie ihre notwendigen Verordnungen nicht bekamen. Gastroenterologen hatten meist gar nicht mehr geöffnet. Ergo haben diejenigen von uns Hausärzten, die Tag für Tag weiter voll gearbeitet haben, deutlich mehr gemacht als der Durchschnitt. Dass das zu Regressen führen könnte, hatte ich überhaupt nicht auf dem Schirm.

Die Coronajahre können nicht fair geprüft werden

Und jetzt bekommen die fleißigen Arbeitsbienen Ärger, weil sie mit ihren Leistungen und Verordnungen weit über dem Durchschnitt liegen. Ich muss mich jetzt erklären und rechtfertigen. Der endlose Schreibkram kostet Zeit, Nerven und es macht wütend.

Im schlimmsten Fall muss man die Summe X, das kann durchaus ein mittlerer fünfstelliger Betrag sein, an die Kassen zurückzahlen. Als Dank dafür, dass man in den schlimmsten Coronazeiten den Betrieb aufrechterhalten und das Nötigste für die Gesundheit der Menschen getan hat. Ich habe nun einen langen Brief geschrieben und erklärt, wie das zustande kam. Einen halben Tag hat mich das schon mal gekostet. Wenn das nicht genügt, muss ich mir einen Anwalt nehmen.

Ich sehe hier einen systemischen Fehler: Für Coronazeiten ist die Durchschnittsregel völlig ungeeignet. Eigentlich kann man die beiden Coronajahre gar nicht fair prüfen. Ärzte bestrafen, die sich der Infektionsgefahr ausgesetzt haben, die viel gearbeitet haben, für andere eingesprungen sind, die gern geholfen haben – das kann es einfach nicht sein! Unsere Standesgesellschaft, die kassenärztliche Vereinigung, sollte auf der Seite der Ärzte sein!


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