Chronische Nierenerkrankung: bei Diagnose meist zu spät

Nierenerkrankungen bleiben aufgrund von Symptomlosigkeit oft lange unerkannt – bis es fast zu spät ist. Zeit, die "unbekannte Volkskrankheit" bekannter zu machen.

Chronic Kidney Disease: eine unbekannte Volkskrankheit

Einführend in die Tagesspiegel-Expertenrunde sprach Prof. Dr. Werner Riegel, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Nierenstiftung, in einem Impulsvortrag über die Bedeutung von Chancen und Prävention anhand der Chronischen Nierenerkrankung und gab zu verstehen: "Dabei handelt es sich nicht nur um eine Alterserkrankung." Die Chronic Kidney Disease könne viele Ursachen – etwa immunologischer oder genetischer Natur – haben, sei oftmals eine Folge von Bluthochdruck und Diabetes mellitus und stelle einen Risikofaktor für Herzinfarkte, Schlaganfälle und Herzinsuffizienz dar. Mit einer Prävalenz von etwa 10% sei man in Deutschland noch verhältnismäßig besser aufgestellt als andere Länder: In den USA, Kanada, Südamerika und auch großen Teilen Europas bewege sich die Prävalenz im Bereich von über 14%.

Prof. Riegel warnt eindringlich: Bei der CKD handle es es sich um eine Volkskrankheit mit weltweit steigender Tendenz – nur leider um eine vielerorts unbekannte. Im deutschen Gesundheitswesen sowie der medizinischen Ausbildung finde das Thema kaum Beachtung, dabei sei die Mortalitätsrate bei der Chronischen Nierenerkrankung höher als bei Diabetes. Gegenüber gesunden Menschen hätten Patienten mit CKD sogar ein 6-fach gesteigertes Risiko, früher zu versterben. Besonders tückisch an dem Krankheitsbild ist dem Referenten zufolge ein über lange Zeit symptomloser Verlauf. Nur etwa 19% der Betroffenen wüssten von ihrer Erkrankung und befänden sich deshalb in ärztlicher Behandlung, weitere 9% seien sich ihrer Erkrankung bewusst, verzichteten aber auf medizinische Behandlung – und ganze 72% der Erkrankten wüssten überhaupt nichts davon.

Aktuelle Studienergebnisse weisen laut Riegel zudem auf, dass Nierenerkrankungen keinesfalls nur eine Frage des Alters sind. Zwar zeige sich hierin, dass Nierenkrankheiten im Alter deutlich zunehmen (ca. 50 Prozent aller Menschen sind betroffen), aber auch bereits bei jungen Menschen im Berufsleben zum Problem werden können. Zwei Parameter, so der Mediziner, könnten allerdings dazu beitragen, dass trotz der Symptomlosigkeit eine Chronische Nierenerkrankung gut diagnostiziert werden kann: Geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) und Albumin-Kreatinin-Quotient (UACR). Während erstere besonders geeignet sei, die Abnahme der Nierenfunktion in späteren Stadien anzuzeigen, zeige der UACR-Wert zu einem frühen Zeitpunkt Nierenschädigungen gut auf. 

Überblick zur Chronischen Nierenerkrankung

Prof. Dr. Riegel fasst zusammen:

Mehr Aufklärung gleich mehr Früherkennung?

Wie im deutschen Gesundheitswesen besser auf die Chronische Nierenerkrankung reagiert werden kann, diskutierten anschließend neben Prof. Riegel Anke Richter-Scheer, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Isabell Jordans, Vorsitzende des Bundesverband Niere e. V. sowie der SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Andreas Philippi. Unter der Moderation des Tagesspiegel-Redaktionsleiters Thomas Trappe wurde der Fragestellung "Mehr Aufklärung gleich mehr Früherkennung?" nachgegangen. 

Die Beteiligten sind sich einig: Die Niere sollte immer auch ein fester Bestand des Checkups in der Hausarztpraxis sein. Viele Hausärztinnen und Hausärzte, betont Richter-Scheer, hätten eine Überprüfung der Nierenfunktionen längst zum Teil von Routineuntersuchungen gemacht, aber eben noch nicht alle. Wenn die Werte nicht stimmen, müsse man sich weiter informieren und gegebenenfalls auch den Patienten in die Nephrologie überweisen. Dr. Philippi pflichtet hier bei und misst gerade Hausärzten eine entscheidende Rolle beim Thema Prävention bei: "50% der Patienten verstehen nicht, was Prävention bedeutet." Ärzte müssten ihre Patienten in diesem Fall an die Hand nehmen und aufzeigen, warum dieses Thema so ungemein wichtig sei.

Bewusstsein für Nierenerkrankungen in Ärzteschaft und Bevölkerung stärken

Da das Thema Chronische Nierenerkrankung einem Großteil der Bevölkerung noch immer unbekannt sei, müsse aber auch von politischer Seite dringend interveniert werden, gibt Dr. Philippi zu verstehen. Der SPD-Politiker und Chirurg hebt hervor, dass Konzepte aus dem Koalitionsvertrag – etwa Gesundheitskioske oder Public Health Nurses – nun auch endlich auf den Weg gebracht werden müssten, um frühzeitig niedrigschwellige Angebote zu schaffen. Prävention, so Philippi, sei ein demokratischer Prozess, der erst über Jahre hinweg entstehe.

Keinesfalls dürfe Prävention – gerade bei der CKD – eine reine Frage von Kosten sein, gibt Anke Richter-Scheer zu verstehen. Ihrer Ansicht nach sei es vor allem wichtig, in Anamnese und Patientengespräch Risikofaktoren besonders in den Fokus zu rücken, die Gesellschaft für Nierenerkrankungen zu sensibilisieren – gerade auch bei der Nutzung von Schmerzmedikamenten – und sich die Frage zu stellen: Wie kann ich kostengünstig Patientinnen und Patienten schützen?

Polymedikation genau im Auge behalten

Für alle Referierenden ist auch der korrekte Umgang beim Thema Polymedikation ein entscheidender Faktor: Besuche ein Patient 5 Ärzte aus verschiedenen Fachgebieten, könne es vorkommen, dass diesem Patienten 5 verschiedene Medikamente verschrieben werden – nicht immer werde dabei auf Beeinträchtigungen der Nierenfunktion geachtet, so Richter-Scheer. Prof. Riegel rät besonders Hausärztinnen und Hausärzten eindringlich, die genauen Medikamentenfunktionen, vor allem bei älteren Patienten, im Auge zu haben. 

Was dringend erforderlich sei, so Richter-Scheer, seien mehr Studien, die sich auch mit dem Thema Medikamentenreduktion befassen. Patientinnen und Patienten sollten unbedingt ganzheitlich betrachtet werden, und im Zuge dessen auch Medikamente abgesetzt werden, die eher schaden als Hilfe leisten. Hier sollte also im Gesundheitswesen auch die Frage gestellt werden: "Welche Medikamente müssen im Sinne der Lebensqualität weggelassen werden?"

Weitere Themen rund um die Gesundheit der Niere finden Sie auch auf unserer Fachbereichseite Nephrologie.

Quelle:
  1. "Der Wert von Prävention und Früherkennung – am Beispiel der Niere", Tagesspiegel Fachforum Gesundheit; 21.09.2022, 15.00 - 17.00; Verlagshaus Tagesspiegel am Askanischen Platz