Lebenslange Verbindung zwischen Mutter und Kind auf DNA-Ebene

Der fetale Mikrochimärismus ist ein bis dato nur in einem geringen Ausmaß erforschtes Thema. Kann die fetale DNA Mütter vor einer späteren Alzheimer-Erkrankung schützen?

Nicht-invasive pränatale Tests zur Bestimmung zellfreier DNA: Aufschluss über mütterliche Gesundheit während der Schwangerschaft

Beim Thema Schwangerschaft fallen Medizinern meist unterschiedliche Dinge ein. Manch einer verbindet neben dem Wunder der Geburt auch die mit einer Schwangerschaft verbundenen Komplikationen hiermit. Die bekanntesten sind die Präeklampsie, der Gestationsdiabetes oder auch der Schwangerschaftshypertonus.1 Die zellfreie fetale DNA (cff-DNA) spielt bei diversen Schwangerschaftskomplikationen eine Rolle.2 Doch neben diesen Risiken und Komplikationen gibt es auch positive Auswirkungen einer Schwangerschaft auf die werdende Mutter. Bereits vor mehr als 10 Jahren hat ein Forschungsteam aus Kanada zeigen können, dass die nach der Geburt verbleibende DNA eines männlichen Fötus die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann, um hier Gutes zu tun. Eine Risikoreduktion für das Auftreten von Morbus Alzheimer ist ein möglicher Zugewinn einer Schwangerschaft.3

Während der Schwangerschaft steigt die fetale DNA auf etwa 3-13 % der gesamten zirkulierenden freien DNA im mütterlichen Plasma an.4 Die Bestimmung von cff-DNA im mütterlichen Blut findet Anwendung im Rahmen der Pränataldiagnostik. Auf diese Weise ist ein Screening auf fetale Chromosomenstörungen möglich. Die cff-DNA verrät weitaus mehr über Mutter und Kind. So spielt der Spiegel der zirkulierenden cff-DNA auch bei verschiedenen Schwangerschaftskomplikationen eine Rolle.

In einem Review aus dem Jahr 2015 hat ein Forschungsteam aus Kreta, Griechenland, die Bedeutung des Nachweises von cff-DNA bei Präeklampsie, intrauteriner Wachstumsrestriktion (IUGR), vorzeitigen Wehen, Plazenta previa und Hyperemesis gravidarum untersucht. Für den schweren Typ der Präeklampsie konnte ein ansteigender cff-DNA-Spiegel als prädiktiver Marker genutzt werden. Auch bei einer Plazentainsuffizienz mit fetaler Wachstumsrestriktion konnten höhere cff-DNA-Werte beobachtet werden. Bei einem vorzeitigen Einsetzen der Wehen als Folge des frühzeitigen Beginns des Abbaus der Plazentaschranke kam es ebenso zu einem Anstieg der cff-DNA-Werte. Wichtig hierbei ist, dass die erhöhten cff-DNA-Werte kein prädiktiver Marker für die Pathologie selbst sind.2

Möglicher Schutz vor Morbus Alzheimer durch fetalen Mikrochimärismus 

Das Forschungsteam um Chan führte vor mehr als 10 Jahren qPCR-Untersuchungen an autopsierten Gehirnen von Frauen ohne klinische oder pathologische Anzeichen einer neurologischen Erkrankung durch. Bei 63 % der getesteten Frauen lag ein Mikrochimärismus in mehreren Bereichen des Gehirns mit männlichem Ursprung vor. Das Forschungsteam konnte eine geringere Prävalenz (p=0,03) und Konzentration (p=0,06) des männlichen Mikrochimärismus in den Gehirnen von Frauen mit Morbus Alzheimer beobachten -verglichen mit den Gehirnen von Frauen ohne neurologische Erkrankung. Interessanterweise war die fetale DNA nicht nur in der Lage, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden, sondern verblieb bis ins hohe Alter im mütterlichen Gehirn: Die älteste Frau, bei der männliche DNA im Gehirn nachgewiesen wurde, besaß ein stolzes Alter von 94 Jahren.3

Das erste Trimester schützt vor Morbus Alzheimer

Einige Jahre später, genauer gesagt im Jahr 2018, untersuchte eine Forschungsgruppe um Fox M. die Hypothese, dass Frauen, die in ihrem Leben insgesamt mehr Zeit mit Schwangerschaften verbracht haben, hierdurch ein geringeres Alzheimer-Risiko aufweisen könnten, und zwar durch eine Verbesserung der Immunregulation. Diesem Gedanken lag eine positive Korrelation zwischen der Anzahl regulatorischer T-Zellen und der kumulativen Anzahl der Schwangerschaftsmonate zugrunde.

An der Pathogenese des Morbus Alzheimer sind inflammatorische Prozesse beteiligt. Die Schwangerschaft ist ein besonders wichtiger Einflussfaktor auf die Entzündungsaktivität von Frauen. Die größten Veränderungen der TReg-Konzentrationen treten bekannterweise während der frühen Schwangerschaft im ersten Trimester auf.

Die Forschungsgruppe konnte nach aufwändigen statistischen Auswertungen der Daten von insgesamt 95 Frauen folgende Beobachtung machen: Das erste Trimester bietet einen Schutz vor Morbus Alzheimer. Dies war im Einklang mit immunologischen Effekten, die durch die frühe Schwangerschaftsphase bedingt sind.4

Fetaler Mikrochimärismus kann Schutz und Trigger bei onkologischen Krankheiten sein 

Fetaler Mikrochimärismus scheint auch für onkologische Erkrankungen eine Rolle zu spielen. Mikrochimäre Zellen wurden sowohl in heilendem und geheiltem Gewebe als auch in normalem und Tumorgewebe nachgewiesen. Bei einigen Krebsformen scheint der fetale Mikrochimärismus eine Art Schutzfunktion zu vermitteln. Neben diesen positiven Effekten wurde der fetale Mikrochimärismus auch in Korrelation mit der Auslösung onkologischer und autoimmuner Erkrankungen gebracht.5 So konnte ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Konzentration zirkulierender fötaler Y-Chromosom-Zellen schwangerer Frauen und ihrem Risiko, später an Brust- und Darmkrebs zu erkranken, festgestellt werden.6 Diese Ergebnisse stammen aus einer prospektiven dänischen Studie. In dieser Studie wiesen die Forschenden bei 70 % der 272 krebsfreien Frauen, bei 40 % der 89 Frauen, die später an Brustkrebs erkrankten, und bei 90 % der 67 Frauen, die später an Dickdarmkrebs erkrankten, einen männlichen Mikrochimärismus nach.7

Feto-maternaler Mikrochimärismus signifikant häufiger bei SLE und RA

Feto-maternaler Mikrochimärismus (MC) ist ein Phänomen mit vielfältigen Auswirkungen auf Autoimmunität und Toleranz. In einer Studie mit insgesamt 142 Frauen, die mindestens einen männlichen Nachkommen zur Welt gebracht hatten, wurden mögliche Auswirkungen des feto-maternalen Mikrochimärismus auf die Autoimmunität der Mütter untersucht. 72 Frauen litten an rheumatoider Arthritis (RA) und 16 Frauen an systemischem Lupus erythematosus (SLE). 54 Frauen waren gesund. Das Forschungsteam konnte bei RA (18 %) und SLE (31 %) – verglichen mit der gesunden Kontrollgruppe (3,7 %) – eine signifikant höhere Prävalenz von fetalem MC beobachten.8

Fazit: Fetaler Mikrochimärismus – ein weitestgehend unerforschtes Feld

Fetaler Mikrochimärismus scheint ein zweischneidiges Schwert für die Gesundheit werdender Mütter zu sein.6 Es handelt sich um ein sehr spannendes Forschungsthema, das aktuell noch zu wenig Beachtung findet.

Quelle:
  1. Voerman E. et al.: Association of Gestational Weight and Gain with Adverse Maternal and Infant Outcomes. JAMA 2019; 321:1702-15.
  2. Sifakis S. et al. (2015). Cell-free fetal DNA and pregnancy-related complications (review). Mol Med Rep. 2015 Apr;11(4):2367-72.
  3. Chan WF. et al. (2019). Male microchimerism in the human female brain. PLoS One. 2012;7(9):e45592. Breveglieri G, D'Aversa E, Finotti A, Borgatti M. Non-invasive Prenatal Testing Using Fetal DNA. Mol Diagn Ther. 2019 Apr;23(2):291-299. 
  4. Fox M. et al. (2018). Women's Pregnancy Life History and Alzheimer's Risk: Can Immunoregulation Explain the Link? Am J Alzheimers Dis Other Demen. 2018 Dec;33(8):516-526.