Monatsrückblick Gesundheitspolitik: Wichtigste Entscheidungen im August 2023

Entscheidungen aus der Politik, Umfrage-Ergebnisse und Neuigkeiten aus der medizinischen Forschung: Was waren die wichtigsten gesundheitspolitischen Entscheidungen im August 2023?

Erster Schritt für ein Gesetz zur Qualitätstransparenz der Kliniken

Krankenhäuser sollen ab dem 1. April 2024 auf einem Internetportal über ihr Leistungsangebot und ihre personelle Ausstattung informieren. Ferner muss die Rate der Komplikationen und der Todesfälle im Zusammenhang mit Behandlungen transparent gemacht werden. Ferner müssen Kliniken informieren, welcher Leistungsstufe – Grundversorgung, Maximalversorgung, Uniklinikum – sie zugeordnet sind.  Dazu hat das Bundesgesundheitsministerium eine Formulierungshilfe für ein Bundesgesetz erarbeitet, das Bestandteil der in Arbeit befindlichen Krankenhausreform sein soll. Von der neuen Qualitäts- und Leistungstransparenz erhofft sich das Bundesgesundheitsministerium eine starke steuernde Wirkung der Inanspruchnahme. 

Während einzelne Kassenverbände wie der AOK-Bundesverband die Gesetzesinitiative begrüßten, kam Kritik vom Gemeinsamen Bundesausschuss und allen darin vertretenen Bänken: GKV, Ärzte, Krankenhäuser und Patientenvertretung. Der Grund: Nach den Plänen des BMG soll das Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) das Internet-Portal mit Inhalt bestücken.  Nach Auffassung des GBA-Vorsitzenden Josef Hecken ist der Aufbau eines aussagefähigen Qualitätsportals deshalb aufwendig, weil allein aus Daten zur Strukturqualität nicht auf die Ergebnisqualität geschlossen werden kann und eine krankenhausspezifische Risikoadjustierung erforderlich ist. Hecken wie auch der Vorstandschef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gaß, fürchten, dass das IQTIG mit diesem Gesetzesauftrag überfrachtet werde und andere Aufgaben der Qualitätssicherung zurückstehen müssten. Damit stelle sich auch die Frage nach der Legitimation des IQTIG, das der Bundesausschuss als Stiftungsträger derzeit finanziert. Das sei dann der Fall, wenn Beauftragungsrecht des Bundesausschusses erheblich eingeschränkt werde. Ferner stellten sich haftungsrechtliche Probleme, die umso schärfer beurteilt werden müssten, je staatsnäher Publikationen über Qualität sind. Klärungsbedürftig ist laut Hecken, ob der GBA als Stiftungsgeber oder das BMG als Auftraggeber die Haftung für Qualitätsurteile übernehmen würde.   

Bundeskabinett verabschiedet Cannabis-Liberalisierung

Die Bundesregierung hat am 16. August den Gesetzentwurf zur teilweisen Legalisierung der Herstellung, des Verkaufs und des Konsums von Cannabis verabschiedet. Danach sollen der Besitz von 25 Gramm Cannabis für Erwachsene sowie der Anbau von höchstens drei Pflanzen legal sein. In Cannabis-Clubs sollen Mitglieder Pflanzen gemeinsam anbauen und die Droge unter strengen Auflagen abgeben können. Die Legalisierung soll mit einem umfassenden Präventionsprogramm flankiert werden, insbesondere mit Blick auf den Jugendschutz. Die Bundesregierung erhofft sich von der Legalisierung eine Austrocknung des Schwarzmarktes und des illegalen Verkaufs riskanter Produkte mit gefährlichen Verunreinigungen.

Die Liberalisierungspläne sind höchst umstritten. Die Opposition befürchtet neue Gesundheitsgefahren. Auch die Kassen sehen das Risiko, dass die Zahl der Konsumenten steigen könnte. Etliche Ärzteorganisationen halten Cannabis wegen seiner abhängigkeits-erzeugenden Wirkung für gefährlich. Ob mit der Entkriminalisierung tatsächlich eine Entlastung von Polizei und Justiz einhergeht, ist ebenfalls umstritten, weil die Einhaltung des Gesetzes Kontrollen und Sanktionen erfordert. Außerdem könnte die Legalisierung von Cannabis gegen das generelle europäische Drogenverbot verstoßen und womöglich ein Vertragsverletzungsverfahren auslösen.

Medizinischer Dienst fordert Meldepflicht für „Never Events“

Nach Auffassung des Medizinischen Dienstes Bund sollte die geplante Novellierung des Patientenrechtegesetzes dazu genutzt werden, eine verpflichtende Nationale Never-Event-Lite einzuführen. Dies sind gut vermeidbare unerwünschte Ereignisse, die zu schwerwiegenden Schäden bei Patienten führen können. 2022 wurden 165 solche Fälle registriert, im Vorjahr waren es 130 Fälle, wie aus der Begutachtungsstatistik des Medizinischen Dienstes hervorgeht. 

Danach hat der Medizinische Dienst im vergangenen Jahr bundesweit 13.59 fachärztliche Gutachten zu vermuteten Behandlungsfehlern erstellt. In jedem vierten Fall (3.221 Fälle) wurde ein Fehler mit einem Schaden bestätigt. In jedem fünften Fall (2.669 Fälle) war der Fehler Ursache für den entstandenen Schaden; in solchen Fällen haben Patienten Aussicht auf Schadensersatz. Die Zahlen bewegen sich auf dem Niveau des Vorjahres, zeigen aber nur einen kleinen Ausschnitt des tatsächlichen Geschehens, so MD-Vorstandsvorsitzender Dr. Stefan Gronemeyer. Zwei Drittel der Fehlervorwürfe stehen im Zusammenhang mit stationären Behandlungen, 4.200 Fälle wurden in Arztpraxen vermutet. Die meisten Vorwürfe beziehen sich auf operative Eingriffe. 30 Prozent der Fehler wurden in den Fachgebieten Orthopädie und Unfallchirurgie vermutet. Dies sage aber nichts über die Fehleranfälligkeit einzelner Fachgebiete aus.

Die meisten Schäden (60,5 Prozent) waren reversibel, bei 35 Prozent der Patienten kam es zu einem Dauerschaden, in 84 Fällen hat ein Fehler zum Versterben geführt oder wesentlich dazu beigetragen. 

Bundeshaushalt 2024: Weniger Steuern für die GKV

Nach dem Entwurf des Bundeshaushaltes für das Jahr 2024 soll der Bundeszuschuss an den Gesundheitsfonds der GKV auf 14,5 Milliarden Euro und damit auf das Vor-Corona-Niveau zurückgefahren werden. In erster Lesung soll der Bundestag am 7. September über den Etat beraten. Nach den Plänen entfallen soll ein ergänzender Zuschuss in Höhe von zwei Milliarden Euro, ferner eine weitere Milliarde Euro für Sonderbelastungen während der Pandemie sowie eine weitere Milliarde Euro an Darlehen des Bundes. Damit würde in den Kassenfinanzen ein Milliarden-Loch klaffen, das ab 2024 zu weiter steigenden Beitragssätzen führen müsste. Vor dem Hintergrund dieses strukturellen Defizits fordern die Vorstände der Kassenverbände in einem Schreiben an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, die Vereinbarungen des Koalitionsvertrags umzusetzen und ab 2024 den Kassen risikoadäquate Beiträge für Bezieher von Bürgergeld aus Steuermitteln zu zahlen. Das würde den Krankenkassen zehn Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen bringen. Nach einem Gutachten im Auftrag der betrieblichen Krankenversicherung muss die GKV nächstes Jahr mit einem Defizit von rund 14 Milliarden Euro, im Folgejahr sogar mit 18 Milliarden Euro kalkulieren.

Ärzteverbände: Brandbrief an Scholz – Inflation ausgleichen!

Vor dem Hintergrund der aktuellen Verhandlungen über einen neuen Orientierungswert ab dem 1. Januar 2024 haben namhafte Ärzteverbände in einem Schreiben an Bundeskanzler Olaf Scholz die als „Einmischung in die Tarifautonomie“ empfundene Argumentation des Bundesgesundheitsministeriums kritisiert. Die Ärzte fordern mit Wirkung ab dem nächsten Jahr einen vollständigen Inflationsausgleich und daher einen Zuwachs von deutlich mehr als zehn Prozent. Aktuell hatte der GKV-Spitzenverband eine Erhöhung des Orientierungswertes um 2,1 Prozent angeboten. 

Nach wie vor verärgert sind die Vertragsärzte über die im letzten Jahr beschlossene Modifikation der Neupatienten-Regelung, die dazu führt, dass Ärzte nun keine Garantie mehr haben, bei Aufnahme neuer Patienten, etwa aufgrund von Terminvermittlungen, deren Behandlung ohne Abschlag vergütet zu bekommen. Wie der Berufsverband der HNO-Ärzte berichtet, hat dies laut Abrechnungsdaten der KVen Hamburg und Berlin im ersten Quartal fallzahlbereinigt zu einer Minderung des Praxisumsatzes der HNO-Praxen um 24 Prozent in der Hansestadt und elf Prozent in der Hauptstadt geführt. Ursächlich für diese Umsatzeinbrüche ist ein durch eine starke Infektionswelle im ersten Quartal aus ausgelöster Fallzahlanstieg, den die Fachgruppe aufgrund der gesetzlichen Neuregelung nun weitgehend ohne adäquate Vergütung bewältigen musste. 

Hartmannbund-Umfrage: Kinderkliniken unter enormem Druck

Personalmangel in der stationären Pädiatrie führt immer häufiger zur Abweisung von Patienten, dauerhaften Bettensperrungen und erheblichen gesundheitsbeeinträchtigenden Arbeitsbedingungen für Ärzte und Pflegepersonal. Dies geht aus einer Umfrage des Hartmannbundes gemeinsam mit dem Norddeutschen Rundfunk hervor, in deren Rahmen 700 Berufsangehörige befragt worden waren. Danach kann knapp die Hälfte der befragten ÄrztInnen und Pflegekräfte die vorgesehenen Pausenzeiten nie oder nur selten einhalten. 45 Prozent der Befragten springen mehrfach im Monat für erkrankte Kolleginnen und Kollegen ein, rund 60 Prozent klagen über eine mangelnde Wertschätzung ihrer Arbeit. Hartmannbund-Vorstandsmitglied und Pädiater Dr. Theodor Uden erhofft sich von der geplanten Vergütungsreform für die Kliniken, insbesondere durch eine fallzahlunabhängige Vorhaltevergütung eine Entspannung der Situation, insbesondere bei der Arbeitsverdichtung. Die wichtigsten Vorschläge der Befragten zur konkreten Verbesserung der Arbeitssituation: mehr nichtmedizinisches Personal zur Entlastung von Ärzten und Pflegekräften, bessere Arbeitsabläufe und eine Finanzierung, die den größeren behandlungs- und Pflegeaufwand in der Pädiatrie berücksichtigt. 

Herbst und Winter: Erneut Mangel an Kinderarzneimitteln

Entgegen den Erwartungen, die das Bundesgesundheitsministerium mit dem ALBVVG verbunden hat, hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Abstimmung mit dem BMG eine Dringlichkeitsliste für Kinderarzneimittel erstellt, die in der kommenden Infektionssaison knapp werden könnten. Diese Medikamente können aus dem EU-Ausland importiert werden, auch wenn sie keine deutsche Zulassung haben, und mit fremdsprachigen Verpackungen und Patienteninformationen in Verkehr gebracht werden. Aus Sicht des Verbandes Pro Generika erweist sich mit diesen Notstandsmaßnahmen die Unwirksamkeit der ALBVVG-Regeln; diese hätten gerade einmal dazu geführt, dass Kinderarzneimitteln aufgrund des Wegfalls von Rabattverträgen gerade kostendeckend produziert werden können, jedoch keine Anreize für neue Anbieter und Produktionsausweitungen entstanden sind. Anderen Ländern knappe Arzneimittel wegzukaufen sei keine Strategie zur Verbesserung der Lage. 

Die Dringlichkeitsliste enthält Antibiotika in verschiedenen Zubereitungen sowie schmerz- und fiebersenkende Medikamente in kindergeeigneten Darreichungsformen. In einem Schreiben an den Großhandelsverband Phagro bittet das Bundesgesundheitsministerium die Händler um Intensivierung ihrer Beschaffungsaktivitäten und um eine Einschätzung der verfügbaren Mengen. Ferner möge der Verband eine Einschätzung der für die Bereitstellung dieser Arzneimittel notwendigen finanziellen Aufwendungen der Großhändler abzugeben – das Bundesgesundheitsministerium werde dann eine Gegenfinanzierung prüfen. Im Gespräch sind nach Brancheninformationen drei Cent pro Packung.   

Forschungsinvestitionen: Deutschland verfehlt 3,5-Prozent-Ziel

Mit jährlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung bleibt Deutschland weit hinter dem selbstgesteckten Ziel, spätestens 2025 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in FuE zu investieren, weit zurück. Zielerreichung hätte erfordert, dass bei einem BIP von 3,8 Billionen Euro in 2022 weitere 30 Milliarden Euro hätten investiert werden müssen, heißt es in einer Veröffentlichung des Verbandes forschender Pharmaunternehmen (vfa).

Verglichen mit anderen Branchen gehört die Pharma-Industrie mit FuE-Aufwendungen von rund zehn Prozent ihres Umsatzes zwar zu den forschungsintensivsten Wirtschaftszweigen, aber der Trend ist ungünstig: Der Anteil der privatwirtschaftlichen Forschungsaktivitäten ist in den letzten fünf Jahren von 69 auf 66 Prozent gesunken. Ursächlich dafür seien verschlechterte Rahmenbedingungen für die Forschung und Entwicklung, insbesondere Bürokratie und Zeitverzug.  

Konkret benennt dies der Gründer und Vorstandsvorsitzende von BioNTech, Ugur Sahin, in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": eine Diskrepanz zwischen dem, was die Forschung kann und die Bürokratie zulässt, Redundanz und lange Bearbeitungszeiten.

"Die Zusammenarbeit (mit den Zulassungsbehörden) in der Corona-Zeit war so intensiv wie nie zuvor, jetzt sind wir wieder im Normalzustand, und das bedeutet lange Bearbeitungszeiten."     

Die Deutschen treiben Raubbau an ihrer Gesundheit

Nicht einmal jeder fünfte Deutsche erfüllt die Kriterien eines gesunden Lebensstils, nur 17 Prozent erreichen den Benchmark für ein rundum gesundes Leben in den fünf Bereichen körperliche Aktivität, Ernährung, Rauchen, Alkoholgenuss und Stressempfinden. Das ist das Ergebnis der siebten Umfrage der DKV Deutsche Krankenversicherung AG und der Deutschen Sporthochschule Köln. Die Ergebnisse haben sich in jüngster Vergangenheit weiter verschlechtert.

Frauen schneiden im Vergleich zu Männern im Gesamt-Benchmark etwas besser ab: 20 Prozent erfüllen alle Kriterien für ein gesundes Leben, bei den Männern sind es nur 14 Prozent. Menschen in Rheinland-Pfalz und im Saarland leben gesünder als in Nordrhein-Westfalen (21 zu 12 Prozent). 

Mangelnde Bewegung: Die durchschnittliche Sitzzeit an Werktagen hat sich im Vergleich zur vorangegangenen Umfrage 2021 um 30 Minuten auf 554 Minuten erhöht. Eine Verminderung der Sitzzeit durch Bewegung könnte das Sterberisiko deutlich reduzieren.

Umgang mit Stress: Knapp die Hälfte (48 Prozent) erreicht den Benchmark im Umgang mit Stress nicht. Gleichwohl hat sich der Wert seit 2021 (40 Prozent) deutlich verbessert. Nach wie vor hoch belastet ist die Altersgruppe der 30- bis 45-Jährigen durch Beruf und Familie. 

Psyche: Jeder vierte Befragte gibt ein niedriges subjektiven psychisches Wohlbefinden an; unter Wissenschaftlern gilt dies als Hinweis auf eine beginnende Depression. Frauen sind häufiger als Männer betroffen. Die Ergebnisse der Umfrage deuten darauf hin, dass psychisches Wohlbefinden und Bewegung positiv korreliert sind.

Bewegung und Muskeltraining: Den Benchmark ausdauerorientierte Bewegung schaffen 72 Prozent der Deutschen leichte Verbesserungen gegenüber vorangegangenen Umfragen. Der erstmals erfragte WHO-Benchmark für Muskelaktivität (mindestens zweimal pro Woche) erreichen nur 40 Prozent. Muskeltraining gilt vor allem im Alter als bedeutender Schutzfaktor – auch gegen Pflegebedürftigkeit. 

Bewusstes Atmen und aktive Arbeitspausen: Nur 23 Prozent der Befragten nutzt gezielt solche Entspannungsaktivitäten als Ausgleich bei der Arbeit. 

Das Fazit von Professor Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule:

"Ohne umfassende, koordinierte Maßnahmen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft steuern wir geradewegs auf eine gesundheits- und sozial-ökonomische Krise zu. Bewegung muss wieder zu einer alltäglichen Routine werden."